Das Unbefriedigende der bloßen Stände
vertretung kam in den liberalen Bewegun
gen zum Ausdruck. Diese riefen nach Erwei
terung der Teilnahme im staatlichen Leben
(Volkswahl der Landtagsvertreter, Budget
recht, Initiative in Verwaltungs- und Ge
setzessachen, Abschaffung der Feudallasten
und Aufhebung des Titels „Landvogt“).
Der Fürst stimmte sodann der Einsetzung
eines Verfassungsausschusses zu. Mit der
Antwort auf dessen Verfassungsentwurf
zögerte er und erklärte — mit dem Hinweis
auf die schwebenden Verhältnisse in Euro
pa —, daß eine definitive Festsetzung der
Verfassung noch nicht angebracht sei.
Die Verfassung vom 26. September 1862
kam vom monarchischen Prinzip auf dem
Weg der demokratisch-parlamentarischen
Erbmonarchie im Grundsätzlichen nicht wei
ter. Artikel 12 der Verfassung lautet: „Der
Landesfürst ist Oberhaupt des Staates, ver
einigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt.“
Der Monarch ist in der konstitutionellen
Monarchie noch der alleinige Inhaber der
Staatsgewalt. Der Staat ist eine Einheit,
Monarch und Volksvertretung sind zwei
voneinander unabhängige Organe des Staa
tes. Die Verwaltung behielt der Fürst zu
eigener Ausführung bei, durch verantwort
liche Minister ausgeübt. Die Mitwirkung der
Volksvertretung bei der Gesetzgebung, bei
wichtigen Regierungsakten, bei Staatsver
trägen, beim Staatshaushalt, in der Verwal
tungskontrolle zeigt, worin der Monarch be
schränkt wurde. Diese Grundsätze finden
sich auch in der Verfassung, die Fürst Jo
hann II. seinem Volke und Lande gab. Sie
mußte ihm nicht abgerungen werden. In
weiser Voraussicht gab der Fürst diese Neu
ordnung freiwillig. — Die Auseinander
setzung zwischen Monarchie und Volks
souveränität war, wie Ranke sagt, die lei
tende Idee des 19. Jahrhunderts. Die Idee
der republikanisch-demokratisch-parlamen
tarischen Staatsverfassung brach sich nach
dem 1. Weltkrieg Bahn. In Liechtenstein
konnte sie dem monarchischen Gedanken
keinen Abbruch tun, wenn auch das Volk
eine neue, zeitgemäße Verfassung und eine
außenpolitische Neuorientierung forderte.
Durch einen Verfassungsausschuß, dem die
namhaftesten Vertreter beider politischer
Parteien angehörten, wurden die Grund
züge der neuen Verfassung entworfen. Als
eigentlicher Schöpfer der Verfassung ist
wohl der provisorische Landesverweser,
Hofrat Dr. J. Peer von Feldkirch, zu be
zeichnen. In der Sitzung des Landtages vom
24. August 1921 wurde die Verfassung ein
stimmig angenommen; die fürstliche Sank
tion erfolgte am 2. Oktober, und am 5. Ok
tober 1921 — dem 81. Geburtstage des
Fürsten Johann IL, dem Guten — Unter
zeichnete Prinz Karl von Liechtenstein in
Stellvertretung des Fürsten die Verfassungs
urkunde in Vaduz.
Infolge der weisen Politik des Fürsten und
der dem Fürstenhause treu ergebenen Bevöl
kerung blieb Liechtenstein als einzige Mon
archie im deutschen Sprachraum erhalten.
II.
Die heute geltende Verfassung sieht die
souveräne Staatsgewalt im Fürsten und
Volk verankert: „Das Fürstentum ist eine
konstitutionelle Erbmonarchie auf demo-
IO*
149