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LIECHTENSTEIN IM SPIEGEL DER DICHTUNG
Reallehrer Hilmar Ospelt
Liechtenstein hat selber keine großen Dichter
hervorgebracht, wenn wir unter einem Dich
ter den wortmächtigen Gestalter einer be
deutenden Vision verstehen wollen (Vision
ist natürlich nicht religiös zu nehmen, es be
deutet etwa „innere Schau“). Eine geradezu
verlockende, wenn auch nicht leichte Auf
gabe wäre es, einmal diesen Ursachen nach
zuspüren. Denn das liechtensteinische Volk
in der Gesamtheit besitzt dichterisches Emp
finden und verfügt über eine bemerkens
werte Ausdruckskraft. Dies beweisen die
zahlreichen Sagen, Märchen und Sprüche,
die in verdankenswerter Weise vom Histo
rischen Verein, den Herren Dr. F. J. Von-
bun, fürstl. Rat Ospelt, Studienrat Dr. E.
Nipp und Friedr. Walser gesammelt wurden.
Zwar wird der Minnesänger Heinrich von
Frauenberg, von dem sich Lieder in der
Manesse-Handschrift finden, von einigen
der gleichnamigen Familie auf Schloß Gu
tenberg zugezählt. Doch ist diese Zuwei
sung nicht eindeutig beweisbar, und außer
dem können wir den Sänger hier beiseite
lassen, weil seine Lieder keinen unmittel
baren Zusammenhang mit dem Lande ha
ben. Auch die Heimatdichter und Dichterin
nen, die seit dem letzten Jahrhundert ihre
Liebe zum Land und seiner Geschichte in
Gedichten, Sagen und Erzählungen ausge
drückt haben, wollen wir hier nicht behan
deln. Es finden sich zwar einige bemerkens
werte Sachen darunter, so vor allem bei
Prälat J. B. Büchel aus Balzers, dem wohl
bekanntesten Heimatdichter. Sein „Liech
tensteiner Fürstenlied“, „Des Liechtenstei
ners Heimweh“ oder „Die drei Schwestern“
sind schon längst Allgemeingut des Volkes
geworden. Seinem sehr begabten Bruder
Vinzenz Büchel verdanken wir unter an-
derm das uns allen vertraute und lieb ge
wordene „Hohe Alpen meine Wächter“.
Josef Gaßner von Triesenberg hat uns in
seinen Gedichten bleibende Werte geschenkt,
ln diesem Zusammenhänge möchten wir
ebenfalls noch die Gemahlin unseres größ
ten Mitbürgers, des Komponisten Josef Ga
briel v. Rheinberger, Fanny v. Hoffnaaß,