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entwickelten Ländern erzwungene Rückgang
der liechtensteinischen Landwirtschaft durch
freigewordene Arbeitsplätze in der Indu
strie kompensiert werden mußte. Daß der
unvermeidliche Prozeß der Abwanderung
von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft
durch die manchmal beängstigend wirkende
Raschheit der Industrialisierung noch geför
dert wurde, ist klar. Sie ist aber nicht die
erste Ursache der „Verstädterung des Lan
des“, sondern diese hat ihre Gründe in erster
Linie in der Landwirtschaft selbst.
Umgekehrt ist festzustellen, daß wir heute
an einem Punkt angelangt sind, wo wir von
einer vollen Sättigung des Landes mit In
dustrie sprechen müssen. Es wird deshalb
notwendig sein, die Konzessionierung neuer
Industriebetriebe den vorhandenen Gege
benheiten anzupassen, bzw. eher zu stoppen
und der bestehenden Industrie ihre noch ge
bliebenen Entwicklungsmöglichkeiten nicht
vorwegzunehmen.
Als man sich sehr ernsthaft mit der dringend
notwendig gewordenen Industrialisierung
des Landes befaßte, war zunächst die große
Sorge die Frage, ob Liechtenstein in der
Lage sei, für eine umfassende Industrialisie
rung genügend elektrische Energie zur Ver
fügung zu stellen. Das kleine Landeswerk
Lawena war zu Beginn des zweiten Welt
krieges praktisch ausverkauft und bot keine
Gewähr mehr dafür, daß neue liechtenstei
nische Industrien zusätzlich mit Energie be
liefert werden konnten.
Als im Jahre 1941 die Möglichkeit bestand,
einen größeren metallverarbeitenden Be
trieb, die Preß- und Stanzwerke, nach Liech
tenstein zu bringen, stellte sich heraus, daß
der große Bedarf an elektrischer Energie,
den das neue Unternehmen zwangsläufig
hatte, aus dem Inland nicht zur Verfügung
gestellt werden konnte, und daß es fast eine
Unmöglichkeit war, aus der Schweiz, die
selbst Mangel an Energie hatte, elektrische
Energie zuzukaufen. Die Stadtkraftwerke
in Feldkirch, mit denen das Lawenawerk
einen Stromlieferungsvertrag hatte, waren
ihrerseits ebenfalls nicht in der Lage, wesent
lich erhöhte Energiemengen abzugeben, da
sie selbst Zukäufer von Energie waren.
Die beabsichtigte Industrialisierung war also
infolge Mangels an elektrischer Energie zum
vorneherein in Frage gestellt. Den vereinten
Bemühungen der liechtensteinischen Behör
denmitglieder, der Direktion der in Grün
dung begriffenen Preß- und Stanzwerke
und der Liechtenstein selbst freundlich ge
sinnten Vorarlberger Kraftwerke gelang es
dann, die nötigen Bewilligungen der zustän
digen deutschen Behörden für den Strom
export zu erlangen. Die Preß- und Stanz
werke schlossen mit den Vorarlberger Kraft
werken einen Vertrag, wonach eine Stich
leitung von der Sammelschiene in Gisingen
über den Schellenberg ins Fabriksgelände
gelegt werden sollte. Gleichzeitig gelang es
auch, die Energielieferung durch die Stadt
werke Feldkirch zu verstärken und die hiezu
notwendigen Anlagen zu erweitern. Damit
war die Grundlage für die Deckung des
wachsenden Energiebedarfes gelegt. Abge
sehen von den großen Lieferungen der Vor
arlberger Kraftwerke an die Preß- und
Stanzwerke, deren Anlagen im Katastro
phenfalle auch dem Lande zur Verfügung
standen, ergibt sich die Bedeutung der Ener-