Volltext: Der Staatsvertrag in Liechtenstein und seine vorläufige Anwendung

4 Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge 
„Wenn ein Vertrag in Kraft tritt, erlangt er zu diesem Zeitpunkt Geltung. Er wird dann auf 
alle konkreten Lebenssachverhalte angewendet, die unter seine Bestimmungen 
subsumiert werden können. Die vorläufige Anwendung eines Vertrages ist nun die 
konkrete Anwendung des Vertrages vor seinem endgültigen Inkrafttreten und folglich vor 
seiner Anwendbarkeit.“ 
Dieses Kapitel dient als Einstieg in die Materie des Rechtsinstituts der vorläufigen 
Anwendung”, welche in jüngerer Zeit an zunehmender Bedeutung gewinnt.?? Nach 
einem kurzen historischen Überblick über die Entstehung und Weiterentwicklung des 
Phänomens der vorläufigen Anwendung folgt zum besseren Verständnis die 
Darstellung der Funktion der vorläufigen Anwendung anhand des Art. 25 WVK. 
Interessant dürften auch die einzelnen Gründe sein, welche die Parteien dazu 
veranlassen, einen völkerrechtlichen Vertrag vorläufig anzuwenden. Auf die 
einzelnen Fallgruppen in Liechtenstein wird weiter unten näher eingegangen. Wichtig 
ist auch die Feststellung, in welcher Form die vorläufige Anwendung auftreten kann, 
zB. in einer Klausel im Hauptvertrag oder im Gegensatz dazu durch ein 
eigenständiges Protokoll, wie dies beim GATT-Beispiel schon Erwähnung fand. 
Zusätzlich werden die verschiedenen Spielarten / Kategorien der vorläufigen 
Anwendung aufgezeigt. Von besonderer Bedeutung dürfte die Frage der Rechtsnatur 
und der Rechtswirkung sein, die sich aus der vorläufigen Anwendung eines 
völkerrechtlichen Vertrages ergibt. Schliesslich soll auch ein Augenmerk auf die 
Problembereiche gerichtet werden, die mit der vorläufigen Anwendung einhergehen 
  
254 Montag, vorl. Anwendung, 1986, S. 22; siehe zur Definition der vorläufigen Anwendung auch Krenzler, vorl. 
Anwendung, 1963, S. 1: „Die „vorläufige Anwendung“ von Verträgen ist die Methode, durch die die 
vólkerrechtlichen Vertragspartner die Anwendung von Vertragsbestimmungen sicherstellen wolle, schon 
bevor die endgültige Bindung an den Vertrag durch Ratifikation oder durch einen der Ratifikation in seiner 
Wirkung gleichzustellenden Akt eintritt". Diese Definition der vorläufigen Anwendung lässt mM die Tatsache 
ausser Acht, dass die Ratifikation eines Vertrages nicht zwingend mit dem Inkrafttreten dieses Vertrages 
zusammenfallen muss (siehe Kapitel 3.4.1). Somit kann ein vólkerrechtlicher Vertrag auch nach seiner 
Ratifikation vorláufig angewendet werden. Dies ist auch dann einleuchtend, wenn man eine theoretische 
Überlegung anstellt und von einer Situation ausgehet, in der eine Partei den Vertrag bereits ratifiziert hat (z.B. 
durch Hinterlegung der Ratifikationsurkunde), ein anderer Vertragspartner aber noch die notwendige 
parlamentarische Zustimmung schuldig ist um eine Ratifikation vornehmen zu können. Die einzige 
Möglichkeit, den Vertrag in dieser Situation schon vorher anzuwenden ist die durch „vorläufige Anwendung“. 
Zum Begriff der vorláufigen Anwendung siehe Krenzler, vorl. Anwendung, 1963, S. 9f. Neben dem Begriff der 
„vorläufigen Anwendung“ sind also auch noch Ausdrücke wie „provisorische Inkraftsetzung" oder 
„provisorische Wirksamkeit“ geläufig. Oft ist auch von der „provisorischen Anwendung“ die Rede; siehe hier 
z.B. EDA Direktion für Völkerrecht (DV), Praxisleitfaden Vôlkerrechtliche Verträge, Bern 2015, 
www.eda.admin.ch (Stand: 2015, aufgerufen am 13.3.2017) S. 42; oder auch Regierung des Fürstentums 
Liechtenstein, Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag betreffend den Beitritt von Bulgarien und 
Rumänien zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Nr. 128/2006, S. 11. 
Vgl. Gömez-Robledo Juan Manuel (Special Rapporteur) in: Second report on the provisional application of 
treaties, Nr. A/CN.4/675, International Law Commission, Genf 2014, S. 3; sowie Binder / Zemanek, 
Vólkervertragsrecht, 2013, S. 62. 
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