4.5.2 Spannungsfeld Governance: Zwischen Land und Gemeinde — zwei Herren dienen?
Der Landesschulrat, dem „die Leitung und Oberaufsicht des gesamten Schulwesens“ zusteht
(Art. 2), ist u.a. für „die Anstellung, Entlassung, Versetzung und Beurlaubung der Lehrperso-
nen, sowie Disziplinarverfahren gegen dieselben" zustàndig (Art. 12 d).
Der Gemeindeschulrat bestimmte aber als lokal verantwortliche Schulbehórde ebenso das
operative Alltagsgescháft mit (Art. 22). Diese Funktion haben die Gemeindeschulráte in
Liechtenstein im Grunde bis heute für Kindergárten- und Primarschulen?*. Durch die erwähn-
te Kostenaufteilung zwischen Land und Gemeinde stehen Kindergártnerinnen und die Lehr-
kráfte der Primarschulen auch in einem gewissen Abhàngigkeitsverháltnis zum jeweiligen
Gemeindeschulrat, womit bei den betroffenen Lehrpersonen der Eindruck entstehen kann,
,zwei Herren dienen" zu müssen.?^ In diesem Zusammenhang sehr bemerkenswert ist ein
Artikel, der den hypothetischen Machtkampf zwischen Landesschulrat und Gemeindeschul-
rat ex lege entscheidet: „Wenn ein Gemeindeschulrat seine Pflichten derart vernachlássigt
(....), steht dem Landesschulrat das Recht zu, denselben seiner Rechte und Pflichten als
Behórde zu entheben und die Leitung der Ortsschule selbst in die Hand zu nehmen" (Art.
33). Eine derartige Bestimmung in der Zeit danach konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht
aufgefunden werden...
De facto dürfte den Gemeinden im Bereich Kindergarten/Primarschule — bis heute — ein
grosser Einfluss zugestanden worden sein. Bezeichnender Weise setzt sich — nach der
Jüngsten administrativen Zusammenlegung von Kindergarten und Primarschule — zuneh-
mend die Bezeichnung „Gemeindeschule“ durch.
Immerhin war die Lehrerschaft schon damals auch im Gemeindeschulrat vertreten: „Der
Gemeindeschulrat besteht aus fünf Mitgliedern: Dem Gemeindepfarrer als Vorsitzenden
(....), dem Gemeindevorsteher (...), dem Schulschriftführer (...) und zwei weiteren" (Art.23).
4.5.3 Spannungsfeld Governance: Stellenwert der katholischen Kirche
Der in Liechtenstein bis weit ins 20. Jahrhundert greifende hohe Stellenwert der katholischen
Kirche und ihrer Funktionäre lässt sich an den folgenden Bestimmungen über die Struktur
der Schulbehórde(n) ableiten.
Artikel 2 stellt grundsätzlich und unmissverständlich klar: „Der gesamte Schulunterricht rich-
tet sich nach den Grundlagen katholischer Weltanschauung.“
93Vergl.: geltende Schulorganisationsverordnung, LGBI 2004 /154. Onlineverzeichnis 16
9^Siehe zum Beispiel: Liechtensteiner Vaterland vom 2.11.1993, S.4 über die Generalversammlung
des Liechtensteinischen Primarlehrerinnen- und Primarlehrervereins (LPV): .Kritik, daran, dass die
Gemeinden durch neue Subventionsregeln (... mehr Mitbestimmung in Lehrerfragen beanspru-
chen." Ein offener Brief des Gewerkschaftlichen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes in den beiden
Landeszeitungen, Liechtensteiner Vaterland und Volksblatt, am 28.2. 2001, belegt auch medial aus-
gefochtene Positionskámpfe — hier um die Kündigung einer Kindergártnerin durch eine Gemeinde.
46