Im Hinblick auf die Fragestellung der Spannungsfelder zwischen Reformen und Berufszu-
friedenheit der liechtensteinischen Lehrerinnen und Lehrer und daraus zu folgernde Konse-
quenzen làsst sich aus der historischen, hermeneutischen und empirischen Betrachtung di-
verser aufgeführter Spannungsfelder jedenfalls verdichtend feststellen, dass die Rekontextu-
alisierung (Fend 2008) im Sinne von Erkennen und Nützen der wechselseitigen Bedingungs-
hintergründe auf Makro- Meso- und Mikroebene jedweden Reformvorhabens gewáhrleistet
sein muss, will man dessen Zielschárfe in der Transformation sicherstellen. Lehrerinnen und
Lehrer sind für Reformen wohl am ehesten dann zu gewinnen, wenn sie diese als die besse-
ren Lósungen für selbsterkannte und tatsáchlich schon bestehende Problemfelder interpre-
tieren kónnen. Im Idealfall — und dieser wird aufgrund der systemischen Voraussetzungen in
Liechtenstein begünstigt — geht die Initiative dazu von ihnen selbst aus.
Mit Verweis auf die theoretische Auseinandersetzung mit der Praxisforschung (siehe Kapitel
3.3.7.) muss daher sichergestellt bleiben, ,dass Lehrerinnen und Lehrer zu Erforschem der
eigenen Praxis werden und dabei auch ihre eigenen praxis- und standortrelevanten Theorien
entwickeln. (...) Die Verbreitung didaktischer (...) Entwicklungen kann nicht (...) allein durch
den Auftrag von oben geschehen." (Altrichter & Posch 2007, S.23). Sonst drohe sogar die
Gefahr, das Lehrpersonal durch ,aufoktroyierte, unverstandene Programme zu deprofessio-
nalisieren” (ebd.) — Unterricht werde ,nicht dadurch besser, dass Standards oder andere Zie-
le vorgegeben und überprüft werden, sondern dadurch, dass Lehrerlnnen sich durch sie zu
Entwicklungsarbeit anregen lassen" (ebd.). Diese Entwicklungsarbeit muss sich vor allem
durch die Reflexion und schrittweisen Veiterentwicklung der spezifischen Bedingungen vor
Ort auszeichnen. Mit Ansátzen der Praxisforschung zeigt sich auch Jórg Schlee — der postu-
liert, dass die , Schulentwicklung gescheitert" sei (vergl. Schlee 2014) —, noch am ehesten
einverstanden. „Statt darüber nachzudenken, wie sich das Lernen von Schülern erfolgreich
unterstützen und anregen liesse, haben ...die Schulentwicklungsautoren... die abwegige
Behauptung aufgestellt, Schulen kónnten und müssten lernen."
Dem liechtensteinischen Schulwesen und seinen Akteuren darf jedoch aus der epochalen
Analyse der Schulgeschichte und der Betrachtung der Meilensteine der modernen
Schul(reform)entwicklung nicht nur eine den globalen Standards der Bildungsforschung ent-
sprechende Entwicklung, sondern in manchen Bereichen (siehe z.B. notenfreie Primarschu-
le) auch eine eigenständige Vorreiterrolle attestiert werden.
Flexibilität und Wendigkeit sind Standortvorteile des Schulwesens im Kleinstaat. Sie gewähr-
leisten Entwicklungsfreudigkeit genauso wie die Fähigkeit zu rascher Korrektur und Modifika-
tion auf dem Weg zur guten Schule.
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