Auf Basis dieser Überlegungen und auf der Grundlage der vorliegenden Arbeit könnte eine
interessante kommunikationswissenschaftliche Untersuchung zu diesem Teilthema gemacht
werden, die jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Denn recht bald nach dem
Beginn der Steueraffäre kamen Gerüchte auf, die sich bis heute hartnäckig halten, aber nie
bewiesen werden konnten, dass manchem deutschen Regierungsmitglied an einer Ablenkung
von der Arena „IKB“ und der Verstrickung der Regierung in die Folgen der Subprime-Krise
auf die IKB und einige Länderbanken sehr gelegen sein könnte. Zur Rettung der betroffenen
deutschen Bankinstitute hatte die Regierung hunderte Millionen von Steuergeldern investiert.
Auch die Diskussion in anderen Arenen um Themen wie Mindestlohn und andere wurde
zusehends unangenehm und schien ein Entlastungsangriff, ein ,Befreiungsschlag" in der
militärischen Diktion, eine willkommene Lösung.
So könnten im konkreten Fall drei parallele Arenen identifiziert werden, die in der politischen
Kommunikation an verschiedenen Stellen miteinander verflochten waren, ansonsten jedoch
parallel liefen. Hier das Thema IKB und Landesbanken im Zuge der Subprime-Krise, dort das
Mindestlohnthema und die Arm-Reich-Diskussion.
Mit der Actor-Network Theory (ANT) könnten damit Handlungen von einzelnen Akteuren, die
für den außen stehenden Betrachter als aus dem Zusammenhang gerissen erscheinen, für
deren Zeitpunkt, emotionale Heftigkeit oder für deren Auftauchen er generell keine Erklärung
hat, nachvollziehbar gemacht werden. Zumindest erscheinen sie nicht mehr aus dem
Zusammenhang gerissen, sondern lassen sich nachvollziehbar in ein größeres Ganzes
einbinden.
Die Frage „Woher, aus welcher anderen Arena eines im Hauptfall beteiligten Akteurs, kommt
dieser „spill-over-Effekt?“ lässt sich auch anders stellen: „Gab es bei einem der beteiligten
Akteure Ablenkungsbedarf?““
Zu Anfang des Jahres 2008 beschäftigte und zerstörte die Subprime-Krise zunehmend auch
europäische Banken, die nach und nach Unsummen abschreiben und von der Regierung
finanziell massiv gestützt werden mussten. Die Medien berichteten ausführlich darüber und
erzeugten mit vielen Schlagzeilen und Titelseitengeschichten Druck auf die Regierung und
politische Elite in Deutschland. Die politische Öffentlichkeit in Deutschland war der einzige
Akteur, der eventuell ablenken musste. Bundesfinanzminister Steinbrück schien in diese
Milliardenaffäre in erster Linie verstrickt und geriet zunehmend unter politischen wie öffent-
lichen Druck. Einige politische Beobachter argumentieren, dass er dringend einen Ent-
lastungsangriff brauchte, um von diesem äußerst unangenehmen Thema „IKB“ abzulenken.
Das Mindestlohnthema, bei dem Klaus Zumwinkel der deutschen Regierung, insbesondere je-
doch Bundesfinanzminister Steinbrück unangenehm aufgefallen war, kónnte dazu geführt
haben, dass Steinbrück nichts dagegen haben konnte, wenn Herr Zumwinkel die Konse-
quenzen seines Steuerverhaltens deutlich zu spüren bekáme.
Ein Vergleich der quantitativen Analyse der Medienberichterstattung zur IKB-Affäre - zu-
náchst im Zeitraum 1. Januar bis 13. Februar 2008 und dann im Zeitraum 14. Februar bis 31.
März 2008 -, und der quantitativen Medienberichterstattung zur Steueraffire in den gleichen
Zeiträumen wäre ein erster Schritt in der Untersuchung der Frage, ob die „Inszenierung“ der
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