Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

werden kann?!65: die Befugnis nàmlich, die Verfassungswidrigkeit 
einer Rechtsvorschrift zwar festzustellen, diese jedoch nicht gánzlich 
oder teilweise aufzuheben, sondern nur in ihrer ,Anwendbarkeit'. 
Damit beansprucht der Staatsgerichtshof eine (von Verfassungs- und 
Gesetzes wegen nicht bestehende) Kompetenz dazu, eine andere als 
jene Rechtsfolge zu wáhlen, wie sie in Art. 104 Abs. 2 erster Satz LV 
vorgesehen ist. Dieser Praxis liegt eine materielle Zustindigkeitserwei- 
tung?166 zugrunde, die auf keinen Fall durch den Staatsgerichtshof 
oder durch den (formellen) Gesetzgeber, sondern einzig und allein 
durch den Verfassungsgeber erfolgen kann?!67, Dies ist die eine Seite. 
Die andere Seite ist die, dass sich Art. 21 des neuen StGHG 
von vornherein nicht auf die Fälle einer formellen Verfassungswidrig- 
keit von Völkervertragsrecht bezieht, sondern nur auf jene einer mate- 
riellen. Dies ergibt sich schon aus der Sachüberschrift von Art. 21 und 
22 des neuen StGHG, die darauf schliessen lässt, dass es bei dieser 
,Staatsvertragsprüfung"9168 um eine Prüfung nicht von Art und Um- 
fang der Kundmachung (d.h. der formellen Verfassungsmässigkeit), 
sondern einzig und allein der materiellen Verfassungsmässigkeit des 
Inhalts von ,Rechtsvorschriften“3169 geht, und auch dies nur „im 
3165 Siehe Hoop S. 303: ,Die Verfassungsmässigkeit von Art. 21 und 22 des neugefassten StGHG 
bedingt ... eine entsprechende, vorgängige Änderung der Verfassung“ sowie StGH 1982/37, 
LES 4/1983 S. 115 mit zutreffendem Verweis auf den mit Verfassungsgesetz vom 28. De- 
zember 1963, LGBI. 1964 Nr. 10, geánderten Art. 104 Abs. 2 LV (siehe hierzu aber auch das 
Verfassungsgesetz zur Anderung von Art. 59 LV vom 25. Februar 1958, LGBI. 1958 Nr. 1). 
Was die Frage der Schaffung einer neuen bzw. neuartigen Entscheidungsmóglichkeit betrifft, 
ist die Praxis gespalten: In StGH 1993/6, LES 2/1994 S. 45 hat der Staatsgerichtshof einer- 
seits erklärt, dass seine ,Entscheidungszustándigkeit" für ein ,quasi gutachterliches ... Fest- 
stellungserkenntnis" fehle, nachdem eine solche ,in der Kompetenzumschreibung von Art 104 
LV sowie im StGHG" nicht ,gegeben (ist)". Die Kompetenz eines ,Feststellungserkenntnisses' 
wird in dieser Erklárung unter Berufung auf den verfassungs- und gesetzmássigen Kompe- 
tenzkatalog abgelehnt. In StGH 1995/20, LES 1/1997, S. 38 hat der Staatsgerichtshof ande- 
rerseits erklärt, er könne sich ,auf eine durchaus gefestigte Praxis sogenannter Appellent- 
scheidungen abstützen". Die Kompetenz zu solchen ,Appellentscheidungen' wird in dieser 
Erklárung aus der Annahme einer ,rechtspolitische(n) Lücke bzw. eine(r) planwidrige(n) Un- 
vollstándigkeit im StGHG" abgeleitet. In beiden Fallen ging es um die Frage, ob ein weder in 
Art. 104 LV noch im StGHG vorgesehenes Entscheidungsinstitut begründet werden kónne. 
Diese Frage ist in StGH 1993/6 vereint und in StGH 1995/20 bejaht worden. 
3166 Stotter (Kompetenzkatalog) S. 168. 
3167 In die gleiche Richtung, wenn auch zu einem anderen Sachverhalt, zielt die Kritik bei Stotter 
(Kompetenzkatalog) S. 168, der sich gegen eine ,mit der Verfassung nicht im Einklang ste- 
hende materielle Kompetenzerweiterung des StGH durch einfaches Gesetz" ausspricht. Hin- 
zuweisen ist aber auch auf die Feststellung des Staatsgerichtshofes in StGH 1982/65/V, LES 
1/1984 S. 4, wonach ,die Rechtsetzung und —fortbildung ... Vorrang der Legislative (ist)". Die 
Autorität dieser Feststellung ist nicht zu unterschätzen, kann der Grundsatz der Gewaltentei- 
lung doch kein Inhalt einer Verfassungsrevision sein (siehe hierzu StGH 1979/5, LES 1981 S. 
114). 
3168 Randtitel von Art. 21 des neuen StGHG. 
3169 Die Sachüberschrift der Art. 21 und 22 des neuen StGHG lautet: „Prüfung der Verfassungs- 
mässigkeit von Rechtsvorschriften in Staatsverträgen“. 
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