Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

4.2.2 
Ausblick 
Unter den Bedingungen der Verfassung vom 16. März 2003 wird das 
Vorrangprinzip von Grund auf in Frage gestellt. Grundlage für diese 
Kehrtwende ist vor allem eine Revision von Art. 104 Abs. 2 erster Satz 
LV, nach deren Massgabe sich die Normenkontrolle durch den 
Staatsgerichtshof in Zukunft nicht nur auf formelle Gesetze und Ver- 
ordnungen (d.h. auf das Landesrecht), sondern auch auf völkerrechtli- 
che Verträge erstreckt (d.h. auf das Völkervertragsrecht): „In seine 
Kompetenz fallen weiter die Prüfung der Verfassungsmässigkeit von 
Gesetzen und Staatsverträgen sowie der Gesetzmässigkeit der Regie- 
rungsverordnungen“ 1959, In diesen Fällen hat der Staatsgerichtshof 
,kassatorisch^!980 zu urteilen, d.h. die verfassungswidrige Rechts- 
vorschrift des Landes- oder des Vólkervertragsrechts aus dem Rechts- 
bestand auszuscheiden 1961, 
Auch wenn die Korrekturbedürftigkeit!99? dieser Revision heute 
schon zu Tage tritt, darf nicht übersehen werden, dass eine Überprü- 
fung vólkerrechtlicher Vertráge auf ihre (formelle oder materielle) 
Verfassungsmássigkeit einer Anerkennung des Vorrangprinzips ent- 
gegensteht; durch seine Unterstellung unter die Normenkontrolle 
i.S.v. Art. 104 Abs. 2 erster Satz LV wird das Vólkervertragsrecht der 
LV nicht mehr über-, sondern untergeordnet!963, 
rangprinzip gewáhlte Ansatz hat den Staatsgerichtshof dazu gezwungen, in diesem Einzelfall 
über die Rechtsquellenstufe des in Frage stehenden vólkerrechtlichen Vertrages zu befinden, 
d.h. eine Rangbestimmung vorzunehmen. Hátte sich der Staatsgerichtshof in StGH 1999/28 
an das Vorrangprinzip gehalten, wáre ihm diese Notwendigkeit von vornherein erspart geblie- 
ben. 
1959 Kursivstellung durch den Verfasser. 
1960 Art. 104 Abs. 2 erster Satz LV. 
1961 Siehe zu den Rechtswirkungen des sog. Kassationsprinzips das 19. Kapitel Pkt. 3.4.2. 
1962 Batliner/Kley/Wille (Memorandum) S. 20 weisen zu Recht darauf hin, dass dann, wenn „man 
den neuen Wortlaut (nimmt), wie er steht, ... verfassungswidrige Staatsvertráge durch den 
Staatsgerichtshof zu kassieren (wáren), d.h. als ganze aufzuheben, da Staatsvertráge immer 
ein Ganzes bilden. Das ist ... mit dem Vólkerrecht nicht vereinbar ... Gemeint sein wird daher 
môglicherweise, dass der Staatsgerichtshof nur über die innerstaatliche Anwendbarkeit von 
Staatsverträgen (kassatorisch) urteilt“. Siehe hierzu das 11. Kapitel Pkt. 4 sowie das 25. Ka- 
pitel Pkt. 3.2.4. In ihrem Schreiben vom 22. Oktober 2002 S. 4ff hat die Regierung den Um- 
stand der Korrekturbedürftigkeit von Art. 104 Abs. 2 erster Satz LV erkannt und sich unter 
Hinweis auf die Praxis des Staatsgerichtshofes in StGH 1993/4 um eine Remedur des De- 
fekts bemüht. 
1963 Vorsichtiger Batliner/Kley/Wille (Memorandum) S. 21, die sich die Frage stellen: , Werden die 
... Staatsvertraglichen Grundrechte durch die neue Bestimmung von Art. 104 Abs. 2 auf einen 
innerstaatlichen Unterverfassungsrang herabgestuft, weil die Verfassung der neue Masstab 
ist, an dem die vólkerrechtlichen Grundrechte gemessen werden?" Der (Mit-)Initiant der Ver- 
fassungsánderungsvorschláge vom 2. August 2002, S.D. der Landestürst, scheint seinerseits 
davon auszugehen, dass (zumindest) die EMRK keinen Verfassungsrang besitzt. Dies geht 
sowohl aus der Art und Weise seiner Reaktion auf das Urteil des EGMR in der Rs Dr. Herbert 
Wille vs. Fürstentum Liechtenstein vom 28. Oktober 1999 (deutsche Urteilsübersetzung in der 
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