Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

Eine Antwort auf diese Frage hat zu berücksichtigen, dass sich 
der Sinn und Zweck dieser Bestimmung am Tage des Inkrafttretens 
der LV nicht erschöpft hat. Aufgrund der Stellung von Art. 114 LV im 
XI. Hauptstück der LV (mit dem Titel „Verfassungsgewähr und 
Schlussbestimmungen") ist vielmehr das Gegenteil der Fall. So besit- 
zen auch andere Bestimmungen des XI. Hauptstückes der LV, allen 
voran Art. 112 Abs. 1 LV, eine über den 24. Oktober 1921 hinausge- 
hende Funktion. Ist dem aber so, behált auch Art. 114 LV seine Ak- 
tualität bei. 
Was dies bedeutet, liegt auf der Hand: Im Einklang mit der 
Praxis des Staatsgerichtshofes, wonach die LV „als Ganzes ausgelegt 
werden (muss)" und ,die verschiedenen Bestimmungen der Verfas- 
sung so zu deuten sind, dass sie móglichst miteinander zu harmoni- 
sieren sind”1914, ist die Funktion von Art. 114 LV als ein i S.v. Art. 
112 Abs. 1 LV allgemein verbindliches Ordnungsprinzip nach wie vor 
anzuerkennen. Die Bedeutung von Art. 114 LV geht über die einer 
blossen ,Schlussbestimmung/ also hinaus: Art. 114 LV bildet einen 
allgemein verbindlichen Mechanismus für eine Behebung von Nor- 
menkollisionen, d.h. von Konfliktfállen zwischen zwei oder mehre- 
ren einander über- bzw. untergeordneten Bestimmungen. In diesen 
Fállen ist in Art. 114 LV ein Regime verankert, das über das Schicksal 
der tiefer- bzw. niederrangigen Bestimmung keinen Zweifel bestehen 
lásst: Aufgrund von Art. 114 LV ist diese Bestimmung - von Verfas- 
sungs wegen — ohne weiteres ,aufgehoben beziehungsweise unwirk- 
sam" 1915, 
Was bedeutet dies für das Verháltnis zwischen dem Vólker- 
vertrags- und dem Landesrecht? Eine Antwort auf diese Frage hat 
auf die Praxis des Staatsgerichtshofes zum EWRA und zur EMRK zu- 
rückzugreifen: Nachdem der Staatsgerichtshof dem EWRA de jure1916 
und der EMRK de facto!9!7 Verfassungsrang zugebilligt hat, kommt 
(wenigstens) diesen beiden Vertragswerken die gleiche Wirkung zu 
wie sie Art. 114 LV „der gegenwärtigen Verfassungsurkunde“ 1918 
gewährt: Als im Verfassungsrang stehende völkerrechtliche Verträge 
nehmen (wenigstens) die EMRK und das EWRA an der Funktion des 
in Art. 114 LV verankerten Regimes teil, indem sie sich tiefer- bzw. 
1914 StGH 1982/39, LES 4/1983 S. 118. 
1915 Art. 114 LV. 
1916 StGH 1996/34, LES 2/1998 S. 80. 
1917 StGH 1995/21, LES 1/1997 S. 28. 
1918 Art. 114 LV. 
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