entziehen, kann es in diesen Fällen nicht gehen; das EWR- geht dem
Wirtschaftsvertragsrecht vor!890,
Der so begründete Vorrang des EWR- vor dem Wirtschafts-
vertragsrecht gilt nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theo-
rie: ,Dem EWR-Recht kommt … in EWR-Angelegenheiten Vorrang
im Verhältnis zum Recht der Zollunion mit der Schweiz zu”1891, Art.
121 Bst. b EWRA ist eine Kollisionsnorm im weitesten Sinne; der Sinn
und Zweck dieser Bestimmung erschöpft sich trotz seines Charakters
als „Bestands- und Entwicklungsgarantie“ 1892 im Interesse einer
Aufrechterhaltung der Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft mit der
Schweiz darin, den Vorrang nicht nur der Zusammenarbeit innerhalb
des Europäischen Wirtschaftsraums, sondern auch den Vorrang des
(EWR-)Rechts der unter dem EWRA bestehenden „Rechtsetzungsge-
meinschaft“ 1893 in jedem Falle, d.h. auch mit Wirkung für die Zu-
sammenarbeit zwischen Liechtenstein und der Schweiz sicherzustel-
len. Aus Art. 121 Bst. b EWRA lässt sich damit — ebenso wie im Übri-
gen auch aus Art. 3 Abs. 2 der Vereinbarung zum ZV vom 2.
November 19941894 — eine Uberordnung des EWR-Rechts, und zwar
sowohl des EWR-Primár- als auch des EWR-Sekundärrechts, über
das Wirtschaftsvertragsrecht entnehmen: Kommt der in Art. 121 Bst.
b EWRA verankerte Vorbehalt der liechtensteinisch-schweizerischen
Regionalunion nicht zum Zuge, ist einem Vollzug des EWR- und
nicht des Wirtschaftsvertragsrechts ohne weiteres der Vorzug zu ge-
ben.
Aus diesem Sonderregime, d.h. aus der Tatsache, dass im
EWRA über das Schicksal des Wirtschaftsvertragsrechts verfügt worden
ist, kann ohne weiteres abgeleitet werden, dass Liechtenstein (ebenso
wie die Schweiz, die kein EWR-Mitgliedstaat geworden ist) im Zuge
des EWR-Beitrittes eine Stufenordnung zwischen dem EWR- und dem
1890 Das dem EWR-Recht in einem Konfliktfall widersprechende Wirtschaftsvertragsrecht wird
nicht etwa ausser Kraft gesetzt, sondern nach Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 7 nur ,ver-
drängt“ bzw. „ersetzt“. Weist der in Frage stehende grenzüberschreitende Sachverhalt keinen
EWR-Bezug, sondern nur einen Bezug zur schweizerisch-liechtensteinischen Regionalunion
auf, kommt das Wirtschaftsvertragsrecht nach Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 7 ,subsidiär zur
Anwendung". Siehe zu den Rechtsfolgen einer EWR-Rechtswidrigkeit von Wirtschaftsver-
tragsrecht aus der Warte des Jahres 1991, d.h. in einem Zeitpunkt vor der ablehnenden
schweizerischen und vor der zustimmenden liechtensteinischen EWR-Abstimmung die Regie-
rung (Diskussionspapier) S. 52.
1891 Thürer (Vólkerrechtsordnung) S. 103.
1892 Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 7.
1893 Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 15.
1894 Vereinbarung zwischen Liechtenstein und der Schweiz vom 2. November 1994 zum Vertrag
vom 29. Márz 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizeri-
sche Zollgebiet, LGBI. 1995 Nr. 77; LR 0.631.112.1.
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