Diese Unzulänglichkeit von Art. 8 Abs. 2 LV wird durch die
von Landtag und Regierung geschaffene Verfassungswirklichkeit
verschärft: Der Lehre vom Stufenbau des Rechts, wie sie an den Wur-
zeln der liechtensteinischen Verfassungsordnung liegt 1666, steht in
der Sphäre der völkerrechtlichen Verträge nicht nur Unordnung ge-
genüber, sondern — was noch sehr viel verhängnisvoller ist — ein
Mangel an Ordnungsprinzipien.
Vor diesem Hintergrund liegt das Ergebnis dieses Kapitels auf
der Hand: Obwohl das Vólkervertragsrecht eine Antwort auf die
Frage seiner Rangbestimmung dem Landesrecht überlässt1667, ver-
fügt dieses (und zwar vor allem die LV) nur über mehr oder weniger
rudimentäre Mittel hiezu. Es fehlt an verlässlichen, geschweige denn
an verbindlichen Anhaltspunkten, die es ermôglichen, die beiden
zumindest in der Frage des Rangverhältnisses weitgehend inkommen-
surablen Gróssen des Vólkervertrags- und des Landesrechts in eine
berechen- und nachvollziehbare Beziehung zueinander zu setzen.
Dem Vólkervertragsrecht ist eine Hierarchisierung fremd. Relevanz
besitzt das Referenzsystem des Stufenbaus des Rechts nur dort, wo das
Vólkervertrags- und das Landesrecht in eine gegenseitige Bezogenheit
zu bringen sind, d.h., mit anderen Worten, dort, wo der Zwang zu
einer Katharsis in der Frage nach dem Rangverháltnis zwischen dem
Vólkervertrags- und dem Landesrecht besteht.
Soll einer solchen Katharsis, d.h. der Notwendigkeit entspro-
chen werden, im Verhältnis zwischen dem Vólkervertrags- und dem
Landesrecht zu einem Diagramm zu kommen, ist eine Verfassungsre-
vision trotz der Warnungen Wildhabers!998 nicht zu umgehen. Mit ei-
ner solchen Neuordnung müssen die Unzulánglichkeit von Art. 8 Abs.
2 LV beseitigt und — vor allem — Ordnungsprinzipien in Kraft gesetzt
werden, die der Tatsache ,hochpolitische(r) vólkerrechtliche(r) Ver-
tráge mit Auswirkungen auf die Souverànitát"196? entsprechen. Aus
Gründen, auf die sowohl Hoop!97? als auch Brulha/Büchel!97! hinge-
wiesen haben, ist beim Abschluss solcher vólkerrechtlicher Vertráge
Anforderungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, erstaunt im Übrigen nicht, stammt doch
der Wortlaut dieser Bestimmung im wesentlichen aus der Verfassung vom 26. September
1862; siehe hierzu das 4. Kapitel Pkt. 2.3.
1666 Siehe hierzu das 13. Kapitel Pkt. 2.2.2.
1667 Siehe hierzu das 13. Kapitel Pkte. 1 und 2.1.
1668 Siehe hierzu Wildhaber (Antwort) S. 14.
1669 Wille (Staatliche Ordnung) S. 89.
1670 Siehe hierzu Hoop S. 305f.
1671 Siehe hierzu Bruha/Büchel (Grundfragen) S. 9.
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