« Zum anderen sind die in StGH 1993/4 in Frage stehenden
Rechtsvorschriften von der Aufhebung ihrer Anwendbarkeit
unmittelbar und die anderen Positionen der Anlage I ZV inso-
fern mittelbar betroffen worden, als sie ,im Anwendungstalle
der Móglichkeit der Anfechtung (unterliegen)"!!79. Obwohl
zwischen den einzelnen Positionen der Anlage I ZV in Bezug
auf die Art und Weise der Kundmachung dieser Rechtsvor-
schriften kein Unterschied bestand (bzw. nach wie vor be-
steht), führt StGH 1993/4 zum Ergebnis, dass es von der Zufil-
ligkeit eines Anlassfalles und von der Beliebigkeit seines Gegen-
standes abhángt, welche Position der Anlage I ZV bzw. welche
Rechtsvorschrift des Zollvertragsrechts ihre Anwendbarkeit
nicht nur in einem abstrakten (,realisierbaren’), sondern in ei-
nem konkreten (‚realisierten‘) Sinne verliert. In StGH 1993/4
war das Lebensmittelrecht von diesem Schicksal betroffen, in
StGH 1996/28 das Kriegsmaterialrecht und in StGH 1997/7
das Patentrecht. Wären vor den antragstellenden Anderen Ge-
richten in einem dieser Anlassfälle andere Rechtsvorschriften
„anzuwenden“ 1171 gewesen, wären es diese gewesen, die ihre
Anwendbarkeit eingebüsst hätten — ein Zustand, der an das
Spiel mit dem Schwarzen Peter erinnert.
Mit seinen Unterscheidungen in StGH 1993/4 hat der Staats-
gerichtshof in die Mechanik des KmG eingegriffen und den Begriff
der Rechtskraft in seine beiden Wesensmerkmale aufgespalten: In StGH
1993/4 hat der Staatsgerichtshof ,einen Schutzschirm nur noch über
die ,Gültigkeit’, nicht mehr aber über die Anwendbarkeit‘“1172 sol-
cher Schweizerischer Rechtsvorschriften aufgespannt, die in Liech-
tenstein aufgrund der Wirtschaftsverträge gelten: ,Auf eine mehr
oder weniger metaphysische Art und Weise immer noch in ‚Geltung‘,
geht ihnen nunmehr das Attribut der ‚Anwendbarkeit‘ ab — ‚für den
Anlassfall' im Sinne einer ‚unmittelbar wirksamen‘ Sanktion, ausser-
halb des Anlassfalles als Geisel einer ‚Möglichkeit der Anfech-
tung‘ 1173, Die Aufhebbarkeit gemäss StGH 1993/4 tritt wie ein Iso-
top des Begriffes der , Rechtskraft' in Erscheinung.
Dieser Eingriff setzt am Status von Rechtsvorschriften als In-
begriff des objektiven Rechts an und seziert diesen in Abhängigkeit
1170 StGH 1993/4, LES 2/1996 S. 49.
1171 StGH 1993/4, LES 2/1996 S. 49.
1172 Becker (Anmerkungen) S. 28 (Pkt. 15).
1173 Becker (Anmerkungen) S. 28 (Pkt. 15).
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