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8. KAPITEL: EINFÜHRUNG DES EWR- UND DES
WIRTSCHAFTSVERTRAGSRECHTS
Ausgangslage
Die Regelungen, die in Art. 8 LV in Bezug auf die Tätigkeit der (for-
mellen und materiellen) Auswärtigen Gewalt getroffen werden, gel-
ten für das ‚reguläre’ Verfahren der Einführung des Völkervertrags-
in das Landesrecht. Ihr Gegenstand sind Sachverhalte, in denen es
zum Abschluss oder zu einer Änderung oder Ergänzung völker-
rechtlicher Verträge in Form von Primärrecht kommt. Das Ergebnis
einer Durchführung dieses ‚regulären’ Verfahrens besteht in völker-
rechtlichen Bindungen in Form von Staatsvertrügen einerseits und von
Verwaltungsvereinbarungen andererseits.
Im Rahmen der beiden Integrationssysteme, in denen sich
Liechtenstein unter dem EWRA ebenso wie unter den Wirtschafts-
vertrágen befindet, ist die Ausgangslage eine andere: Während der
Geltungsdauer dieser Vertragswerke hat Liechtenstein in regelmà-
ssigen Abständen Sekundärrecht in Prozessen zu übernehmen, die
sich von einem Abschluss bzw. von einer Änderung oder Ergänzung
von Primárrecht im ,reguláren' Verfahren des Art. 8 LV unterschei-
den. Diese Prozesse werden in diesem Kapitel als irreguláre' Verfah-
ren bezeichnet. In ihnen kommt es zur Einführung mehrerer tausend
,auslándischer' Rechtsvorschriften in Form von EWR-Rechtsakten ei-
nerseits und in Form von Schweizerischen Rechtsvorschriften ande-
rerseits. In seiner Gesamtheit übersteigt dieser Rechtsbestand jenen
des Landesrechts um ein Mehrfaches®68,
Im Gegensatz zur Einführung des EWR-Rechts, und zwar so-
wohl des EWR-Primär- als auch des EWR-Sekundärrechts, das sich —
Beispielhaft sei auf das Grôssenverhältnis zwischen dem Landes- und dem Wirtschaftsver-
tragsrecht hingewiesen: Während Batliner (Integration) S. 7f für das Jahr 1977 die ,etwa 475
liechtensteinische(n) Gesetze und Verordnungen“ den in Liechtenstein aufgrund der Wirt-
schaftsverträge zu diesem Zeitpunkt geltenden 420 Schweizerischen Rechtsvorschriften ge-
genübergestellt hat, stehen heute (Stichtag: 31. Oktober 2002) den rund 910 Grunderlassen
des Landes- rund 1070 Grunderlasse des Wirtschaftsvertragsrechts gegenüber (unter dem
Begriff der ‚Grunderlasse’ werden hier die ursprünglichen formellen Gesetze und Verordnun-
gen bzw. Bundesgesetze, Bundesbeschlüsse und Bundesratsverordnungen verstanden, d.h.
ohne spätere Änderungen und Ergänzungen).
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