Volltext: Zum Zollvertrag mit Liechtenstein

— 12 — 
man kopfschiittelnd die Frage, ob es denn wirklich einen so 
£rossen Apparat und so viel rauschendes Gepräge brauche, 
um das Schweizervolk zu einem freundnachbarlichen »Liebes- 
dienst" aufzurütteln. Man konnte sich des Eindrucks nicht er- 
wehren, dass es den schweizerischen Führern des vielstim- 
migen Chors weit mehr daran gelegen sei, den ,,Liebesdienst" 
zu erweisen, als die Liechtensteinern ihn zu empífan- 
£en. Man las endlich das Horoskop, das ein klarblickender 
und ehrlicher Welscher in einem Artikel ,Un Etat en miniature“ 
in der ,Gazette de Lausanne“ dem Nachbarlande stellte: 
»Schweizerwährung, Schweizerpost, Schweizer Zollverwal- 
tung — was bleibt unserer bescheidenen Nachbarin an wirt- 
schaftlicher Autonomie noch übrig? Lehrt uns die Geschichte 
nicht, dass der Verlust der wirtschaftlichen Selbständigkeit 
verhängnisgleich dem Verluste der politischen Unabhängigkeit 
vorausgeht? Sollte Liechtenstein eine Ausnahme zu dieser 
Regel bilden?‘“* Man erinnerte sich auch, wie schon vor 
Jahresfrist das grösste deutschschweizerische Blatt die An- 
schlussbewegung präludierte, wie es seine Leser für ein neues, 
grosshelvetisches Staatsideal empfänglich zu machen und sie 
- darauf vorzubereiten suchte, im ,stammverwandten" Liech- 
tenstein nicht nur einen Gescháftsteilhaber, sondern eine Art 
.zugewandten Ort" (,Neue Zürcher Zeitung" 1922, Nr. 184) 
zu begrüssen und ihm dadurch, wie in der alten Eidgenossen- 
schaft, die Anwartschaft auf ein engeres Verhältnis zu unserem 
Staate zuzuerkennen. 
Das Schwinden der liechtensteinischen Souveränität würde 
uns wahrlich wenig kümmern, wenn sie sich wie ein Schnecken- 
horn still und ohne Nebenwirkung in sich selbst zurückzöge. 
Aber so verhält sich die Sache nicht. Jedes Minus an liechten- 
steinischer Souveráünitàt bedeutet infolge der Zollunion ein : 
Plus an schweizerischer Staatshoheit, und das Ende vom Lied 
ist: ein zugewandter Ort — ein neues Glied der schwei- 
zerischen Eidgenossenschaít. 
Die Frage, die heute zur Diskussion vorliegt, ist daher 
nicht: , Wollen wir unsere Zollgrenze verlegen?" Sondern 
sie lautet, wenn man die mit dieser Verlegung gegebenen Móg- 
lichkeiten und Wahrscheinlichkeiten der Entwicklung mit in 
* Monnaie Suisse, postes Suisses, douanes Suisses, que reste-t-il 
de l'autonomie économique de notre modeste voisine? L'histoire ne 
nous enseigne-telle que la perte de l'autonomie économique précéde 
fatalement celle de l'indépendance politique? Le Liechtenstein ferait- 
il exception à la regle? (Gazette de Lausanne 1922, No 126).
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.