Volltext: EINTRACHT (2005) (Ostern)

EINTRACHT OSTERN 
2005 Alpabfahrt zu Gross- vaters Zeiten Es war Mitte September um das Jahr 1935. Der Alphirt und der Bub hatten das Vieh von der Alp Dürrwald im Silbertal heraus nach Schruns getrie- ben. Dort am Rande des Dorfes hatte es sich weit verstreut auf einer Wiese niedergelegt um auszuruhen. Dort- hin kamen auch einige Bauern aus Mauren, um behilflich zu sein, die Rinder durch das Montafon und den Walgau heimwärts zu bringen. Gebhard Heeb, damals noch jung an Jahren, hatte sich auch bereit erklärt, beim Viehabtrieb mitzuhelfen. Für abends sechs Uhr hatte man den Ab- marsch von Schruns vorgesehen. Es war regnerisch, kühl und auf den Bergen lag schon Schnee. Für Gebhard war es ein Rätsel, wie man die grosse Herde mit fast hun- dert Rindern sammeln und auf der Strasse zum Abmarsch bereit ma- chen konnte. Der Alphirt, der eben- falls noch jung war und kaum dreis- sig Jahre zählte, lächelte nur, als Gebhard seine Bedenken vorbrachte, denn diese Aufgabe gehörte zu sei- nem Beruf. Als man sich nach der Ruhezeit zum Abmarsch einigte, stellte sich der Hirt mitten auf die Wiese und liess seinen Alpruf «Ho - a - hoo» erschallen. Nun kam Bewegung in die grosse Herde, das Vieh stand auf und mit vielfältigem Glockengeläute folgte es dem Hirten zum Ausgang des Dorfes Schruns. Als alle Tiere auf der Strasse versam- melt waren, ordnete man den Ab- trieb: Alban Matt mit der Stalllaterne und der Hirt führten den Zug an, Oskar Malin und Gebhard Heeb machten den Abschluss, zwei oder drei andere Bauern hatten sich links und rechts der Habe aufgestellt. Kaum war man losgezogen, wurde es dunkel. Alban hatte die Laterne an- gezündet und lief mitten auf der Strasse voraus. Es hatte starker Regen eingesetzt, die Mäntel wurden zuse- hends schwer und schwerer. Auf ei- nem übersichtlichen Strassenstück nahe Bludenz hielt man noch einmal an und zählte die Rinder. Es fehlten fünf davon. Gebhard und sein Kolle-Unteralp 
Dürrwald ge mussten wieder zurücklaufen und fanden sie auf der Wiese eines Bau- ernhofes. Sie trieben dann diese Aus- reisser mit forschem Tone nach, so- dass sie die Herde bald eingeholt hatten. Die Strassen entlang des Viehtriebs waren alle gut abgezäunt, man muss- te eigentlich nur bei Haus- und Stall- einfahrten aufpassen, dass kein Tier ausscherte. Todmüde, durchnässt, 
verfroren Gegen Mitternacht, als sich die Her- de zwischen Bludenz und Nenzing befand, machte man kurze Rast. Gebhard hatte gesehen, dass die Stalllaterne auffallend hin- und her- schwankte und fragte Alban nach dem Grund. Dieser gab zu, so müde zu sein, dass er beim gleichmässigen Trott beinahe eingeschlafen sei. Man konnte nicht lange stehen blei- ben, alle froren sofort. Schuhe, Socken und Mäntel waren ganz durchnässt. Also ging der Fussmarsch weiter. Es war schon fünf Uhr, als die Herde bei Frastanz ankam. Dort ei- nigte man sich noch einmal auf ei- nen kurzen Halt. Bei einem Bauern- hof brannten die Lichter in der Küche. Die beiden Töchter rüsteten sich für die Schichtarbeit in der Fab- rik. Gebhard, der wie die anderen an der Stallwand lehnte, sah auf einmal Alban zu Boden sinken. Dieser rea- gierte erst nach geraumer Zeit auf Schütteln und lautes Ansprechen.«Was 
ist los ...?», fragte dieser end- lich. Er war so übermüdet, dass er stehend eingeschlafen und zusam- mengebrochen war. Sie hatten ge- glaubt, im Stall, welcher leer stand, etwas Wärme zu finden, doch ohne Bewegung war es nicht auszuhalten. Beim Weitermarsch dämmerte es. In der Felsenauschlucht, wo die Strasse und die Stahlbrücke sehr eng waren, dehnte sich die Herde zu einer lan- gen Kolonne, und das Kuhgeläute widerhallte laut an den Felswänden. Es wurde fast Mittag, bis das Vieh bei der Grenze in Tisis ankam. Dort wartete bereits der Tierarzt. Dieser hatte den Gesundheitszustand der Tiere zu prüfen. Er schaute jedem Rind ins Maul und warf auch einen Blick auf die Klauen. Der Hirt, der beim Viehtrieb mitge- gangen war, gruppierte in Schaan- wald die Rinder nach der Zuge- hörigkeit zu den Bauernhöfen. Die- ser kannte jedes Tier mit Namen und wusste, aus welchem Stall sie stammten, was die Bauern selber nach dem Alpsommer nicht mehr mit Sicherheit behaupten konnten. Auf der Strecke nach Mauren gesell- ten sich dann noch andere Familien- mitglieder der Bauern zu den Vieh- haben, um die müden Tiere in die heimischen Ställe zu begleiten. Der Alphirt nahm Quartier bei Oskar Malin im Popers und machte sich erst am anderen Tage wieder auf den Heimweg. Gebhard Heeb, nacherzählt von Adolf 
Marxer 21
	        

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