Volltext: EINTRACHT (1998) (Staatsfeiertag)

E3Ü EINTRACHT STAATSFEIERTAG 
1998 LEITARTIKEL Bildung ist der Schlüssel zum Arbeitsmarkt «Sprengt die Fesseln», so lautet der Titel eines Beitrages des deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog in der «Zeit» vom 7. November 1997. Er meint dort: «Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Wissen ist heute die wichtigste Ressource in unserem rohstoffarmen Land. Wis- sen können wir aber nur durch Bil- dung erschliessen. Wer sich den höchsten Lebensstandard, das beste Sozialsystem und den aufwendig- sten Umweltschutz leisten will, der muss auch das beste Bildungssystem haben. Ausserdem ist Bildung ein unverzichtbares Mittel des sozialen Ausgleichs. Bildung ist der Schlüssel zum Arbeitsmarkt und noch immer die beste Prophylaxe gegen Arbeits- losigkeit. Sie hält die Mechanismen des sozialen Auf- und Abstiegs offen und damit unsere offenen Gesell- schaften in Bewegung. Und sie ist zugleich das Lebenselixier der De- mokratie in einer Welt, die immer komplexer wird, in der kulturelle Identitäten zu verschwimmen dro- hen und das Überschreiten der Grenzen zu anderen Kulturen zur Selbstverständlichkeit wird.» Der Bundespräsident fährt fort: «Es geht darum, Tabus zu knacken, Irrwege abzubrechen und falsche Mythen zu beseitigen. Erstens: Menschen sind Individuen. Sie haben unterschiedliche Bega- bungen. Wer das leugnet, vergisst einerseits die herausragenden Ta- lente, die unser Bildungssystem oft genug behindert, und andererseits die weniger Begabten, denen unser Bildungssystem jeglichen Abschluss verweigert.Zweitens: 
Bildung beginnt nicht erst mit dem Abitur. Praktische und theo- retische Begabungen sind gleich- wertig! Das muss sich auch in den Bildungsangeboten, den Abschlüs- sen und Berufschancen, der gesell- schaftlichen Achtung niederschlagen. Drittens: Es gibt keine Bildung ohne Anstrengung. Wer die Noten aus den Schulen verbannt, schafft Ku- schelecken, aber keine Bildungs- einrichtungen, die auf das nächste Jahrtausend 
vorbereiten.» Zur Bildung gehört die Vermittlung von Werten «Viertens: Es ist ein Irrglaube anzu- nehmen, ein Bildungssystem kom- me ohne Vermittlung von Werten aus! Viele Lehrer leisten diese Wer- tevermittlung durch ihr Beispiel und durch Diskurse in ihren jeweiligen Fächern. Aber es ist auch auf werte- vermittelnde Fächer zu achten. Des- halb gehört z.B. der Religionsunter- richt in die Schule und darf nicht in die Pfarrsäle verdrängt werden. Fünftens: Falsch ist auch die Vor- stellung, die Schule sei Reparatur- betrieb für alle Defizite der Gesell- schaft. Hier sind schon auch die El- tern gefordert! Die Schule kann die Eltern bei der Erziehung unterstüt- zen, ersetzen kann sie sie nicht. Sechstens: Es ist falsch, zu glauben, dass alle Bildungsinhalte durch bürokratische Vorgaben festgelegt und möglichst einheitlich geregelt sein müssten. Siebtens: Es ist ebenso falsch, anzu- nehmen, das beste Bildungsangebot könne nur vom Staat kommen. Ge- rade in einem guten öffentlichen Bildungssystem brauchen private Initiativen Ermutigung. Keiner von uns weiss, wie die Welt von mor- gen aussehen wird. Wir können nur ahnen, was durch die modernen Kommunikationsmedien und Infor- mationstechniken entstehen 
wird.» Man kann Leistung nicht fördern, ohne sie zu fordern «Zugleich müssen sich unsere Bil- dungsinstitutionen wieder daraufbesinnen, 
dass man Leistung nicht fördern kann, ohne sie auch zu for- dern. Das setzt frei das Bewusstsein aller voraus, dass es im Leben ohne Anstrengung nicht geht. Wenn wir uns als Bildungsziel darauf verstän- digen können, junge Menschen auf ein Leben in Freiheit und Selbstbe- stimmung vorzubereiten, reicht dafür kein La isser-faire, sondern wir müssen schon auch deutlich ma- chen, dass Freiheit anstrengend ist, weil eben jeder die Ergebnisse sei- ner Freiheit zunächst selbst verant- worten muss.» Und am Schluss führt Herzog aus: «Das Band, das uns alle verbindet, ist doch das Be- wusstsein, dass unsere Lebenszeit eng begrenzt ist. Warum versuchen wir dann nicht entschlossen und gemeinsam, allen Beteiligten wie- der Zeit zu verschaffen und diese auch optimal zu nutzen? Zeit ist das Wichtigste, was der Mensch zum Reifen, Lernen, Forschen und Umsetzen der Forschungsergeb- nisse braucht ... Künftig müssen wir die Fortentwicklung des Bildungs- systems zur Daueraufgabe machen. Unser Bildungssystem war einst ein Modell für die ganze Welt. Aber es muss weiterentwickelt werden ... Schaffen wir ein Bildungssystem, das Leistung fördert, keinen aus- schliesst, Freude am Lernen vermit- telt und selbst als lernendes System kreativ und entwicklungsfähig ist. Setzen wir neue Kräfte frei, indem wir bürokratische Fesseln sprengen. Entlassen wir unser Bildungssystem in die Freiheit.» Das sind Gedanken, über die es sich wohl lohnt, anlässlich des Staats- feiertages auch in Liechtenstein nachzudenken. Ich benütze diese Gelegenheit, um im Namen der ganzen Redaktion allen Leserinnen und Lesern zum Festtage gutes Wet- ter und viel Freude zu 
wünschen. <J Adulf Peter GoopT
	        

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