Volltext: EINTRACHT (1995) (Advent)

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EINTRACHT ADVENT 
1995 UNSER GASTFürstl. Rat Hans 
Brunhart Tradition und Wandel Das Schlagwort vom Wandel und der Veränderung alles Bestehenden ist heute in aller Munde, im Beruf und in der Freizeit, in der Familie und in der Gesellschaft. Wandel und Veränderung gehören freilich zur Menschheitsgeschichte wie zur Geschichte jedes Einzel- nen. Aber der Eindruck, die Verän- derung gehe heute schneller vor sich, täuscht sicherlich nicht. Dies lässt sich an globalen Trends ablesen, wie zum Beispiel der In- formations- und Kommunikations- gesellschaft, aber auch in unseren engeren Lebensbereichen, in unse- rem Dorf und in unserem Land. Man muss heute nicht mehr warten bis ins hohe Alter, um diese Verän- derungen feststellen zu können. Zehn Jahre genügen, um zu sehen, dass sich nicht nur Bauten und Ver- kehrswege ändern, sondern dass auch Konstanten wie überkomme- nes Brauchtum, alte Gewohnheiten des Miteinanders innerhalb dörfli- cher Gemeinschaften Veränderun- gen unterliegen. Es wird nicht zu Unrecht beklagt, dass dieser Pro- zess des Wandels mancherorts eine Verarmung und Vereinheitlichung des Lebens bedeute. Die jungen und nachkommenden Generatio- nen würden, so heisst es, ehemals verbindliche Kriterien und Rahmen- bedingungen des Lebens der älte- ren Generation nicht mehr kennen. Sitte und Brauch würden überlagert von einer uniform angelegten Le-bensart, 
die Individualität auf Ko- sten des gesellschaftlichen Engage- ments in den Vordergrund 
gerückt. Schwierigkeiten mit dem Alther- gebrachten Es ist kein Zufall, dass ich als Gast dieser Zeitschrift insbesondere auf den kulturellen Wandel hinweise. Denn gerade die Förderung der Heimat- und Brauchtumspflege be- zieht sich auf wesentliche Elemente des kulturellen Bereiches unserer Gesellschaft. Der kulturelle Wandel zeigt sich am deutlichsten an den ritualen Gewohnheiten und Gebräuchen an wichtigen Stationen des menschli- chen Lebens: Geburt, Hochzeit, Tod. Diese ehemals der Kirche vor- behaltenen Rituale der Lebensbe- gleitung gerieten in einen Verände- rungsprozess, als die Welt sich zu säkularisieren begann und die Kir- che zunehmend an den Rand ge- riet. Heute sind diese Bräuche oft lokaler Formen und Besonderheiten entkleidet. Verschiedene Bräuche wurden mehr und mehr kommer- zialisiert, dies um so mehr, als Brauchtum oft mit Ruhepausen und Festtagen verbunden war und diese wiederum eine wichtige Basis der modernen Einkaufsgesellschaft ge- worden sind. Dazu kommt, dass wir Menschen heute mehr Schwie- rigkeiten im Umgang mit Altherge- brachtem haben, weil uns ange- wöhnt wurde, dass alles zu hinter- fragen ist und reflektiert werden muss. Der Wert dieser kulturellen und sozialen Elemente ist erkannt. Diesen für Sitte und Brauchtum problematischen Tendenzen des Wandels stehen andere Entwicklun- gen gegenüber, die zeigen, dass auch Neues entsteht, dass der Mensch von heute wieder mehr Sinn entwickelt für den Bezug zu seiner engeren Lebenswelt, etwa zum Dorf, und dass auch bei politi- schen Entscheidungen immer wie-der 
das Wort von der Identität in den Mittelpunkt gerückt wird. In Liechtenstein haben gerade Vereini- gungen, wie die Trachtenvereini- gung, Wesentliches dazu beigetra- gen, dass viele sich heute engagiert um die Pflege von Brauchtum küm- mern. Unsere Gemeinden haben den Wert dieser kulturellen und so- zialen Elemente erkannt. Die Tatsa- che, dass gerade im Zusammen- hang mit den Volksabstimmungen über die EWR-Mitgliedschaft unse- res Landes die Frage der liechten- steinischen Identität, d.h. die Frage, was wir als liechtensteinisches Volk an unserer Substanz, an unserer Ei- genart, zu gewinnen, zu verlieren oder zu verteidigen haben, zeigt die hohe Sensibilität dieser Thema- tik gegenüber. Ich bin optimistisch, dass der Trend zu Globalisierung und zu Verein- heitlichung gerade in kulturellen und gesellschaftlichen Bereichen nicht unumkehrbar ist. Natürlich werden sich zu alten Gewohnhei- ten und Bräuchen neue gesellen. Ich glaube aber, dass sich dabei nicht alte Bräuche und neue Ge- wohnheiten konkurrenzieren müs- sen. Alles, was Gemeinschaft för- dert, was den gesellschaftlichen Zu- sammenhang im Dorf und im Land stärkt, hat seinen Wert. Tradition und Wandel sind deshalb gleichermassen Bestandteile unse- rer Identität. Dies gilt für den Ein- zelnen, für das Dorf wie für das Land. Sie sind in diesem Sinne auch nicht nur Widerspruch, son- dern auch Grundlage von Gemein- schaft. Dass die Tradition dabei als eher stabiles Element Gefahr läuft, vom dynamischen Wandel überrollt zu werden, liegt auf der Hand. Die Tätigkeit der Trachtenvereinigung besteht nicht zuletzt darin, uns in engagierter Weise auf die Nachteile einer solchen Entwicklung hinzu- weisen, nicht indem sie den Warn- finger erhebt, sondern indem sie aktiv das Brauchtum pflegt. Dafür gebührt ihr unser Dank. Hans Brunhart
	        

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