Volltext: EINTRACHT (1995) (Ostern)

mm EU EINTRACHT OSTERN 
1995 UNSER GASTFürstlicher Rat Robert Allgäuer Vaduz Ausländer sind wir alle ... 2. Teil «Nichtinländer» im Landtag Im ersten konstitutionellen Landtag von 1862 sassen mit Anton Gmelch, Markus Kessler und Gre- gor Fischer drei vom Ausland Zuge- zogene, also «Nichtinländer». Mög- lich war das durch eine besondere Fürstliche Verordnung, die nur kur- ze Zeit Gültigkeit besass. Kessler und Fischer waren von den Stimm- berechtigten gewählt, Gmelch vom Fürsten bestimmt worden. «Auslän- der» im Landtag, schon erstaunlich! Diese Idee perspektivisch in die Zu- kunft zu phantasieren, darf nicht verboten sein, meine ich. § 1 der Statuten des 1901 gegründeten Hi- storischen Vereins für das Fürsten- tum Liechtenstein lautet: «Der Historische Verein für das Für- stentum Liechtenstein verfolgt den Zweck, die vaterländische Ge- schichtskunde einschliesslich der Urgeschichte zu fördern und die Er- haltung der natürlichen und ge- schichtlich gewordenen liechten- steinischen Eigenart zu pflegen.» Was aber wohl macht die «liech- tensteinische Eigenart» 
aus? Heimat Altregierungschef Dr. h. c. Alexan- der Frick (1910 - 1991) schrieb 1973 in einer Publikation: «So kann ich denn die gestellte Frage: Was bedeutet mir Liechtenstein? kurz und bündig beantworten mit dem einzigen Wort: Heimat.» Und an anderer Stelle heisst es: «Festgehalten aber sei, dass ich zu Liechtenstein stehen würde, auchwenn 
es nicht so viele landschaftli- che Schönheiten, nicht eine so ei- genartige Geschichte hätte, auch wenn es seinen Bewohnern nicht so grosse wirtschaftliche Möglich- keiten böte oder wenn die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse spannungsgeladener wären, denn dieser winzig kleine Fleck auf dem Globus ist meine wirkliche, meine einzige Heimat. Unsere Vorfahren haben an dieser Heimat gezimmert, haben immer wieder etwas geän- dert, verbessert, haben eine Mund- art und ein Brauchtum entwickelt, die sich von denen der Nachbarn deutlich unterscheiden, haben eine eigenartige Staatsstruktur diktiert bekommen und diese später be- wusst erhalten, haben ein Rechtsge- bäude aufgerichtet, das sich in manchem von anderen abhebt. Hier mit vereinten Kräften weiter- zubauen, das Eigenartige, das ei- nem kleinen Volke Angepasste zu erhalten, das empfinde ich als mei- ne schönste und vornehmste Aufga- be.» Zwischen «Servus» und «Grüezi» Was aber wohl macht dieses «Ein- zigartige» aus? Schon am 17. April 1954 hat ein nicht genannter Autor zum 30jähri- gen Bestehen des Zollvertrages mit der Schweiz unter dem inzwischen geflügelten Titel «Zwischen <Ser- vus> und <Grüezi>» über die species liechtensteinensis, den homo liech- tensteinensis nachgedacht. Was aber wohl macht die «species liechtensteinensis» aus? Ich will und kann, angesichts von noch viel aufzuarbeitender Landes- und Bürgergeschichte, angesichts von Europa-Fieber und Europa- Angst, trotz Ansätzen zu pluraler, li- beraler und weltoffener Haltung, die Quadratschädel-Sturheit nicht immer zu verhindern vermag, wo- bei mondäne Weitläufigkeit hie und da zu Halbwelt verkommt, ich kann und will keine treffende Liechtenstein-Definition geben. Ei- nes aber weiss ich, Liechtenstein ist seit mehr als 100 Jahren personell, wirtschaftlich, geistig, kulturell, ge-netisch 
auf Ausländer angewiesen. Darum gehören für mich «Fremde», «Ausländer» definitorisch zu Liech- tenstein. Von einer Figur, die in dem 1989 erschienenen Roman «Durcheinan- dertal» von Friedrich Dürrenmatt (1921-1990) vorkommt, heisst es: «Und Liechtensteiner ist er auch noch. Die wollen Österreicher und Schweizer zugleich sein und Liech- tensteiner noch dazu.» Ob das die Antwort auf unsere Fra- ge sein kann? Wohl 
kaum. Endlich etwas Tapferes Ich denke, dass heute der Zeitpunkt gekommen ist, für die Integration der «ausländischen» Mitbürgerin- nen und Mitbürger endlich etwas Tapferes zu tun. Es ist hoch an der Zeit! Wir sitzen alle im selben Boot, wir sind alle Landes-An- gehörige, Ausländer und Inländer. Gefragt ist ein grosser Wurf, eine kühne Idee, eine Perspektive ins nächste Jahrtausend, eine Allianz in Vertrauen und in Selbstbewusstsein, ein Pakt in Toleranz und Offenheit, ein Übereinkommen zwischen Lan- desangehörigen und Landesgästen, in seinem Rang vergleichbar mit der mutigen Aufnahme der Hinter- sassen ins Gemeindebürgerrecht im Jahre 1864, die bis dahin als einge- kaufte Untertanen nur das Landes- bürgerrecht, aber keinen Anteil am Bürgernutzen hatten, ein grosses Werk, vergleichbar auch mit dem Generationenvertrag der 
AHV. 510 065 840 km2 Ausland! Im übrigen darf für die gegenwärti- ge und zukünftige Diskussion der Ausländerfrage darauf hingewiesen werden, dass wir alle Ausländer sind, jedenfalls, wenn wir unseren Fuss über die überall und jederzeit nahe Grenze setzen. Für uns Liech- tensteiner gibt es auf der Erde 160 km2 Inland und 510 066 000 km2 minus 160 km2 Ausland. Es darf vermutet werden, dass wir auch im Weltraum, jedenfalls im grössten Teil, Ausländer sind. Ob diese schmunzelnde Feststellung nicht auch etwas Tröstliches (für die Aus- länder) und etwas Relativierendes (für die Inländer) an sich hat?
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.