Politische Kultur in der Zwischenkriegszeit
Gruppe um Wilhelm Beck die Christlich-soziale Volkspartei, die sich ab
1920 auch Liechtensteinische Volkspartei nannte,'® und aus thren Kon-
trahenten die Fortschrittliche Burgerpartet.
Die liechtensteinische Bevölkerung war damals überaus homogen:
Es gab neben den Katholiken keine namhafte andere religiöse Gruppe
und kein eigentliches Grossbürgertum. Die Fabrikarbeiterschaft bestand
grösstenteils aus Frauen, die nicht wahlberechtigt waren, und die Mehr-
heit der Bevölkerung fand ihr Auskommen in der Landwirtschaft. Auch
die zahlreichen liechtensteinischen Saisonniers, die aufgrund fehlender
Beschäftigungsmöglichkeiten im Inland ihr Einkommen im Ausland
fanden, betrieben meist im Nebenerwerb eine kleine Landwirtschaft.
Die weltanschauliche Grundlage beider Parteien bildete der Katho-
lizismus, es bestanden aber auch Unterschiede. Die Volkspartei verstand
sich als Motor des Fortschritts. Sie strebte eine Demokratisierung an,
aber keine Republik, eine sozialere Politik und eine Anlehnung an die
Schweiz. Die Bürgerpartei war konservativer, monarchistischer und kle-
rikaler ausgerichtet als die Volkspartei. Die Bürgerpartei trat zwar eben-
falls für Veränderungen ein, diese sollten aber nicht gegen den Willen des
Fürsten und der Regierung geschehen. Beide Parteien verfügten über
eine Zeitung als Plattform. Das 1878 entstandene Liechtensteiner Volks-
blatt war ab 1918 Organ der Bürgerpartei, und die von einer Gruppe um
Wilhelm Beck 1914 gegründeten Oberrheinischen Nachrichten wurden
Parteiblatt der Volkspartei. 1924 benannte sich diese Zeitung in Liech-
tensteiner Nachrichten um.
Die Zeiten waren schwierig. Im Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918),
in den das neutrale Liechtenstein nicht direkt involviert war, brach die
Wirtschaft zusammen, und Teile der liechtensteinischen Bevölkerung lit-
ten Hunger. 1919 kündigte das Fürstentum den seit 1852 bestehenden
Zollvertrag mit Osterreich und schloss 1923 einen neuen mit der
Schweiz. Zur gleichen Zeit fand der von der Volkspartei forcierte Kampf
um den Ausbau der Volksrechte statt, der zur neuen, demokratischeren
16 Das am 26. Dezember 1925 verabschiedete «Partei- und Arbeits-Programm» be-
zeichnete die Partei als «liechtensteinische [sic!] Volkspartei» (Liechtensteiner
Nachrichten, 20. Februar 1926), womit dieser Name offiziell gültig geworden sein
dürfte. In den Zeitungen fand sich aber auch weiterhin hauptsächlich die Bezeich-
nung «Volkspartei».
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