Christoph Maria Merki
schmal. Nur wenige Institutionen bieten geschichtswissenschaftlich aus-
gebildeten Akademikern und Akademikerinnen Platz: die Medien, das
Landesmuseum, das Landesarchiv, die Gemeindearchive, das Liechten-
stein-Institut und natürlich die Schulen. Allerdings ist der Geschichts-
unterricht auch in Liechtenstein eher auf dem Rückzug, und Geschichts-
lehrende werden immer weniger gebraucht. Auch der Historische
Verein und manche Gemeinden vergeben Projektauftrige an Histori-
kerinnen und Historiker, allerdings nur befristet. Wer sein Dasein als
selbstständiger Historiker mit privaten Aufträgen bestreiten will, hat
seine liebe Mühe: Die Konkurrenz um die wenigen öffentlichen und pri-
vaten Projekte ist gross, und diese werden meist nicht so gut bezahlt, als
dass man davon seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Obwohl es
einige gemeinnützige Stiftungen gibt, sind es eher wenige vermögende
und politisch interessierte Mäzene, die hin und wieder einen Auftrag
erteilen.
Historische Forschung und
die Chancen der Kleinheit
Trotz dieser strukturell bedingten Schwierigkeiten gibt es eine liechten-
steinische Geschichtswissenschaft, und die ist — gemessen an der Grosse
des Landes — ausgesprochen produktiv: Pro Jahr erscheinen ein umfang-
reiches historisches Jahrbuch und einige wenige Monografien. Das ist
viel, wenn man daran denkt, dass Liechtenstein noch nicht einmal 40 000
Einwohner hat. Die Blute der historischen Liechtenstein-Forschung hat
vor allem zwei Gründe: erstens den Wohlstand des Landes und zweitens
das schiere Faktum der liechtensteinischen Souveränität.
Der Wohlstand des Landes brachte eine gewisse Akademisierung
der Bevölkerung mit sich, in deren Gefolge sowohl das Angebot an als
auch die Nachfrage nach Geschichtswissenschaft zugenommen haben
dürften. Der Reichtum sowohl des Landes als auch Privater erlaubt
Untersuchungen, die bei geringeren Ressourcen unterbleiben würden.
Selbst kleine Unternehmen und Institutionen gönnen sich Festschriften
und Jubiläumsbroschüren. Der Wohlstand entstand in der Folge eines
schnellen wirtschaftlichen Wandels, und dieser Wandel verlangt ebenso
nach geschichtswissenschaftlicher Aufklärung wie im politikgeschichtli-
chen Bereich das Faktum der Souveränität.
532