Carlo Moos
Sollen Historikerinnen und Historiker
gesellschaftliche Verantwortung haben?
Meine feste Überzeugung ist, dass Geschichtsschreibende eine gesell-
schaftliche Verantwortung nicht nur haben, sondern haben müssen. Dies
wird von ihnen oft auch erwartet, allerdings nicht immer ohne Nebenab-
sichten, denn sie können für alle möglichen Ziele nützlich sein und sich
aus Konkurrenzdruck oder Eitelkeit oder Geldgier oder was für Grün-
den immer einspannen lassen. Wie überall gibt es auch bei Historikern
und Historikerinnen solche, deren Berufsethos nicht sehr entwickelt ist.
Um diese schwarzen Schafe soll es hier aber nicht gehen, weil es in der
Historiker-Farbpalette weniger schwarz oder weiss, sondern vielerlei
Abstufungen gibt. Dagegen soll gleichsam abstrakt von Idealberufsver-
treterinnen und -vertretern und von Erwartungen an sie die Rede sein.
Erwartungen gegenüber Historikerinnen
und Historikern
In der historischen Praxis wurden und werden immer wieder Histori-
kerkommissionen eingesetzt, die der Aufarbeitung von umstrittenen
und untersuchungswürdigen Themen oder der Stellungnahme zu diskri-
minierenden Verhaltensweisen und heiklen Vorwürfen dienen sollen.
Dies nicht nur seitens staatlicher oder kirchlicher Instanzen oder Insti-
tutionen, sondern auch von Unternehmen, Firmen oder Körperschaf-
ten.” Ziel ist, einen ramponierten Ruf zu reparieren, Anschuldigungen
zu widerlegen, Sühne gegenüber unschuldigen Opfern zu leisten oder
schlicht einer «Wahrheit» näherzukommen, die nie «wirklich» erreich-
bar ist, weil es «die» Wahrheit nicht geben kann, sondern lediglich Nähe-
rungswerte oder Teilwahrheiten. Hier zeigt sich eine erste fundamentale
Schwierigkeit, die mit gesellschaftlich relevanten Untersuchungen und
komplexen Prozessen unweigerlich verknüpft ist.
37 Beispiele unter unzähligen anderen könnten etwa das Auswärtige Amt (siehe Conze
et al., Das Amt und die Vergangenheit) oder der Bertelsmann-Verlag (siehe Fried-
länder, Wohin die Erinnerung führt, S. 287-289) sein.
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