Gesellschaftliche Funktion der Geschichte
geber instrumentalisieren zu lassen noch der Verlockung zu erliegen, mit
der eigenen Sicht auf die Vergangenheit einen unanfechtbaren Anspruch
auf «Wahrheit» zu verbinden.
Einsetzung und Auftrag
Ende Mai 2001 wurde mit Beschluss der liechtensteinischen Regierung
eine sechsköpfige Kommission unter dem Präsidium von Peter Geiger
mit der Untersuchung der Rolle des Landes im Zweiten Weltkrieg
beauftragt: die Unabhängige Historikerkommission Liechtenstein Zwei-
ter Weltkrieg (UHK), der auch der Schreibende angehörte.!® Ihre For-
schungen dauerten rund drei Jahre und kosteten etwa 3,5 Millionen
Franken. Die in Zürich erscheinende jüdische Wochenzeitung «tachles»
interpretierte ihre Schaffung Ende Mai 2001 als «Befreiungsschlag».!” In
der Tat entstand sie nicht zuletzt als Folge eines Spiegel-Interviews mit
Elan Steinberg, damals Exekutivdirektor des Judischen Weltkongresses
(WJC), der im Juli 2000 ausgefthrt hatte, Liechtenstein sei als verlinger-
ter Arm der Schweizer Finanzinstitute zu verstehen, und bezüglich des
Zweiten Weltkriegs gehe es um Gold, Geld und gestohlene Kunst, wofür
der WJC (nie gelieferte) Beweise präsentieren und Kompensationen ver-
langen wolle.? Die Regierung des Fürstentums reagierte rasch und — ver-
glichen mit dem zögerlichen Vorgehen der Schweiz einige Jahre früher”!
— nicht ungeschickt. Dies, obwohl die Ausgangslage wenig vorteilhaft
war, weil Liechtenstein seit dem Zollvertrag von 1923 und der Über-
nahme der Frankenwährung 1924 in einem engen Wirtschaftsverhältnis
zur Schweiz stand. Die Eidgenossenschaft war zudem für die Vertretung
der liechtensteinischen Interessen im Ausland zuständig, und das
Schweizer Ausländerrecht galt auch für Liechtenstein.
Die UHK konnte von der 1996 eingesetzten «älteren» Schweizer
Schwester (Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Welt-
18 Siehe zum hier stark umgearbeiteten Text meinen Aufsatz «Das Fürstentum Liech-
tenstein und der Zweite Weltkrieg».
19 Kugelmann, Mit der Vergangenheit aufriumen.
20 Siche Steinberg, Raubgut.
21 Siehe Unabhängige Expertenkommission Schweiz — Zweiter Weltkrieg, Schlussbe-
richt, unter anderem S. 29-31, 33-35, 40-41.
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