Bürgertum im Bauernland
Gegen Ende der betrachteten Periode, 1911, ergab die Erhebung
59 «Geistliche», 103 «Beamte, Lehrer, Diener» sowie 17 «Sanitätsperso-
nen», womit das Bildungsbürgertum auf 179 Personen oder 5,1 Prozent
des Gesamttotals von 3479 männlichen Personen angewachsen war. Dies
entspricht einer Vervierfachung des Bevölkerungsanteils. Das Kleinbür-
gertum lässt sich nicht mehr einschätzen.'“°
Resümee
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich im ländlichen Liechtenstein eine
kleine bildungsbürgerliche Schicht, die sich durch ihre akademische Bil-
dung und ihre berufliche Tätigkeit von der bäuerlich-kleingewerblichen
Bevölkerung abhob. Die Zahl der bildungsnahen Beamten und Kleriker
stieg an, dazu gesellten sich neue bildungsbürgerliche Gruppen wie die
Arzte oder die (Realschul-)Lehrer. Der Anteil des Bildungsbiirgertums
an der Gesamtbevölkerung wuchs in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts annäherungsweise von rund 1 auf 5 Prozent.
Daneben bildeten die Subalternbeamten und «minderen Diener»,
die freiberuflich tätigen Advokaten und Rechtsagenten, die Volksschul-
lehrer und die Gewerbetreibenden eine mittelständisch-kleinbürgerliche
Schicht. Die Grenze zum gehobenen Bürgertum war unscharf, wie vor
allem auch jene zur Bauernschaft, blieben doch viele auf einen gewerbli-
chen oder landwirtschaftlichen Nebenerwerb angewiesen.
Einheimische konnten sich vor allem in der Ärzte- und Lehrer-
schaft etablieren, während das obere Beamtentum fast ganz und das
mittlere Beamtentum stark von Ausländern dominiert waren. Gut aus-
gebildete Liechtensteiner mussten sich oft auf eine Karriere im Ausland
konzentrieren. Innerhalb des heimischen Bürgertums kannten beson-
ders die Familien Rheinberger und Schädler eine sich über mehrere Ge-
150 Die nur mehr 742 Bauern («Grundbesitzer») machten 1911 noch 21,3 Prozent aus.
Der massive Anstieg der «Gewerbsleute» (1056 Personen) und der «anderen
Mannspersonen» (1502 Personen) ist nicht aussagekräftig; er hängt mit der Auflö-
sung der Kategorien «Hilfsarbeiter», «Taglöhner» und «Andere Diener» zusammen,
die offenbar auf diese beiden Kategorien verteilt wurden. Damit verloren die Volks-
zählungsdaten in den unteren Gesellschaftsschichten massiv an Aussagekraft.
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