Fabian Frommelt
So gehörte der Wunsch, «in Zukunft als Bürger und nicht als Untertha-
nen behandelt [zu] sein», noch 1848 zu den wesentlichen Forderungen
der revolutionären Ausschüsse.?® Diese auf die Gewährung bürgerlicher
Rechte und Freiheiten und auf die Partizipation der Staatsbürger an der
Ausübung der Staatsgewalt abzielende Forderung wurde erst mit der
Konstitutionellen Verfassung von 1862 erfüllt.”
Das «neue Bürgertum» als soziale Formation
Die rechtlichen Kategorien der Gemeinde- und Staatsbürgerschaft sind
für die hier interessierende Frage nach der Existenz eines liechtensteini-
schen Bürgertums als sozialer Formation indes nicht ausschlaggebend.
Ausbildung und berufliche Stellung geben die Richtschnur ab für das
Vorhandensein des Bürgertums als «Berufsstand», auch für dessen
Binnendifferenzierung in Bildungsbürger, Wirtschaftsbürger und Klein-
bürger.
Das Bildungsbürgertum
Das liechtensteinische Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts steht
nicht ganz ohne Vorläufer da: Schon in der Frühen Neuzeit hatten die
landfremden obrigkeitlichen Beamten sowie der zum Teil einheimische
(katholische) Klerus meist eine universitäre Ausbildung. In sozialer Hin-
sicht gehörten die Vaduzer Landvögte, Rentmeister und Landschreiber,
die seit dem 16. Jahrhundert das Oberamt bildeten, in der Regel der vor-
derösterreichischen und schwäbischen Beamtenschicht an.” Eine ähnli-
che soziale Herkunft hatten auch viele der sechs Dorfpfarrer, der drei
Hofkapläne und der weiteren Hilfsgeistlichen.”
28 Adresse der Landesausschüsse an Fürst Alois II, 22. März 1848 (entworfen von
Peter Kaiser), zitiert nach Geiger, Geschichte, S. 60.
29 Siche ebenda, S. 286-304.
30 Siche Karl Heinz Burmeister, «Landvogt», in: HLFL, S. 490-493; Paul Vogt, «Rent-
meister», in: HLFL, S. 755; Karl Heinz Burmeister, «Landschreiber», in: HLFL,
S. 483-484.
31 Zum liechtensteinischen Klerus sieche Näscher, Beiträge, Bd. 1.
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