Bodenreform in der Tschechoslowakei
Absatz 1 die Grenzen des neuen österreichischen Staates behandelt und
dabei ausdrücklich auch die Grenze zu Liechtenstein angeführt, was
einer Anerkennung gleichkam.'!®
Das Prager Aussenministerium bestand dennoch darauf, der Fürst
sei in der Tschechoslowakei lediglich als Ausländer zu betrachten, kei-
nesfalls als Oberhaupt eines souveränen Staates. Es war der Ansicht, das
Gesetz Nr. 15 des österreichischen Reichsrates von 1893 (fortan: Fami-
lienvertragsgesetz),'? das den liechtensteinischen Familienvertrag aus
dem Jahre 1842 zuliess und für verbindlich erklärte, sei nicht in Über-
einstimmung «mit der neuen Staatsordnung» ergangen und gelte schon
deshalb nicht mehr, weil dadurch die Tschechoslowakei gezwungen
wäre, Fürst Johann II. als souveränen Herrscher anzuerkennen.” Es
lehnte daher auch die Versuche der Schweiz ab, die Vertretung des Fürs-
tentums in der Tschechoslowakei zu übernehmen, ebenso wie die gele-
gentlichen Bemühungen Liechtensteins, in Prag sogar eine eigene Ge-
sandtschaft zu eröffnen.?!
Dieser Standpunkt wurde zudem von einem Urteil des tschecho-
slowakischen Obersten Gerichtes unterstützt, das die Anwendung des
Familienvertragsgesetzes von 1893 ablehnte.” Prag musste dennoch hin-
sichtlich des Vermögens der Primogenitur weniger radikal vorgehen, als
es einige Hitzköpfe in der Nationalversammlung empfohlen hatten. Eine
18 Friedensvertrag zwischen den Alliierten und Österreich, der in Saint-Germain-en-
Laye am 10. September 1919 abgeschlossen wurde, in: Sammlung Gesetze und Ver-
ordnungen des Tschechoslowakischen Staates, Jahrgang 1921, Teil 133, Nr. 507,
hrsg. am 31. Dezember 1921, S. 1853-2300. Liechtenstein wurde 1920 nicht in den
Völkerbund aufgenommen mit der Begründung, es könne aufgrund seiner geringen
Grösse, des Fehlens einer Armee und so weiter die sich aus einer Mitgliedschaft er-
gebenden Verpflichtungen nicht erfüllen.
19 Reichsgesetzblatt für die am Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 1893,
Nr. 15, Stück 5, S. 14, Gesetz vom 12. Januar 1893 betreffend die Genehmigung des
fürstlich Liechtenstein’schen Familienvertrages vom 1. August 1842.
20 NA, Fonds des Justizministeriums, Karton 1700, Aussenministerium an Finanzmi-
nisterium, 12. Mai 1925, No. 33.913/111/24.
21 Zu den diplomatischen Verhandlungen zwischen Prag, Bern und Vaduz siehe näher
Quaderer, Ein «Annex Österreichs» oder ein souveräner Staat?; Quaderer-Vogt, Be-
wegte Zeiten, Bd. 1, S. 515-534.
22 LILA, V 13/3, Urteil des Obersten Gerichts, 3. Februar 1928, No. Z. B. TI 28/28/1.
Das Gericht urteilte über die Berufung Fürst Johanns II. gegen das Urteil des
Bezirksgerichts in Olmütz, das als Unterinstanz den Antrag auf Revision der
Bodenreform auf dem Gut Zäbfeh abgewiesen hatte.
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