Carl Friedrich von Weizsäcker hat 1963 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die berühmt gewordene Formel geprägt, dass sich die bisherige Aussenpolitik allmählich in «Welt-Innenpolitik» wandle, weil die grossen entscheidenden Probleme – ihm ging es vor allem um die Erhaltung des Friedens – allen Menschen gemeinsam und nur auf Weltebene lösbar seien.4 Nun, den Weltstaat gibt es nicht. Es wird ihn vielleicht auch nie ge- ben. Aber sicher ist eines. Ohne weltweite freiwillige Einordnung, Ko- operation und Solidarität werden die Probleme immer weniger gelöst, rast die Welt in die Katastrophe. Als einzig realisierbare Lösung drängte sich so die multilaterale Zusammenarbeit der Staaten auf, die den Bilateralismus der früheren Zeiten immer mehr ablöst. Dank der multilateralen Verbindungen wer- den die Staaten zwar nicht unter einem Weltstaat zusammengefasst, aber es wird eine horizontale (in sehr beschränktem Masse auch supranatio- nale) Zusammenarbeit aller Staaten global oder regional ermöglicht. Es entstehen Bindungen der Staaten in Organisationen und Abkommen. Die Entwicklung steht erst in den Anfängen. Auf entscheidenden Ge- bieten ist bisher wenig bis fast nichts geschehen. Der Multilateralismus auf Weltebene ist eine Mittellösung zwi- schen dem Weltstaat und der früheren isolierten Inselwelt der Staaten. Die multilaterale Zusammenarbeit erfolgt teils auf Weltebene, teils re- gional in Grossräumen wie Europa oder Westeuropa oder anderen kon- tinentalen oder subkontinentalen Zusammenschlüssen. Die multilaterale Zusammenarbeit hat zwei Seiten. Sie ist, als Folge der Interdependenz, Ausdruck der Kooperation und Solidarität, die heute, wie wir gesehen haben, als neues Element einer Aussenpolitik un- erlässlich ist, wenn die Staaten ihre Erhaltung überhaupt ernst nehmen und die Welt nicht sich selbst mitsamt den Staaten zerstören soll auf- grund der zunehmend ungelösten Probleme. Der Multilateralismus hat aber auch eine andere Seite, besonders für einen Kleinstaat wie Liechtenstein. Je mehr alle Staaten in Gemein- schaften organisiert sind, global oder regional, alle dabei sind, wird es mit der Zeit verhängnisvoll für den Kleinsten, nicht auch dabei zu sein, sei es, weil der Kleinstaat nicht mitmachen will oder weil man ihn schon 37
Fragen der liechtensteinischen Aussenpolitik 4Carl Friedrich von Weizsäcker, Die Bedingungen des Friedens, Göttingen 1963.