1.4
Kontextabhängigkeit
der direkten Demokratie
Die Vor- und Nachteile, Chancen und Gefahren der direkten Demokra-
tie lassen sich nicht rein theoretisch bestimmen. Die Beurteilung der
direkten Demokratie bzw. der direktdemokratischen Instrumente ist
kontextabhängig, etwa bezüglich der weiteren Merkmale des politischen
Systems, der politischen Kultur, der Sozialstruktur eines Landes, des
Designs der direktdemokratischen Instrumente oder der Anwendungs-
praxis. So ist das majoritäre Instrument der Volksinitiative in demogra-
fisch relativ homogenen Gesellschaften mit wechselnden Interessenkon-
stellationen — etwa das Beispiel Schweiz — anders zu beurteilen als in
Gesellschaften mit einer dominanten ethnischen oder sonstigen Mehr-
heit. Dort besteht die Gefahr, dass die demografische Mehrheit wieder-
holt gegen die Interessen der Minderheit entscheidet, was innerstaatliche
Konflikte verschärfen kann.5é Die Gefahren und Schwachstellen der di-
rekten Demokratie werden von Fachleuten in der Tat kontrovers beur-
teilt, auch denselben Fall betreffend. Bowler und Donovan erkennen
etwa für den Fall der Vereinigten Staaten von Amerika wenig Gefahren-
potenzial, während Haskell vor plebiszitärer Demokratie warnt und
stattdessen eine Reform der Institutionen der repräsentativen Demokra-
tie favorisiert.”
Entscheidend ist auch die Frage, wie die direktdemokratischen In-
strumente im Detail ausgestaltet sind (siehe Kapitel 1.5). In der Diskus-
sion über direkte Demokratie werden oftmals Instrumente angeführt,
die nicht als direktdemokratische Errungenschaften zu werten sind,
etwa die im alleinigen Ermessen der Behórden liegende Volksbefragung
56 Siche Bowler und Donovan 2001, S. 144.
57 Bowler und Donovan 2001; Haskell 2001.
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