die ganze Familie einen Monat in die Ferien fuhr. Die Messe besuchen
zu können, war wohl Mutters Verbindung mit der Heimat. Etwas vom
Härtesten, mit dem sie sich am Anfang abzufinden hatte, war es des:
halb, dass die Messe ab 1965 nicht mehr in Latein, sondern in der
Landessprache gefeiert wurde.
Aber sie mochte die Familie. Der jüngste Sohn las ihr aus Kinder
büchern vor, und so begann sie schnell, die englische Sprache aufzu-
nehmen. 1965 fand in New York auch eine Weltausstellung statt. Mut-
ter hatte einen Onkel, der in Pennsylvania lebte, Er fuhr vier Stunden,
holte Mutter ab und besuchte mit ihr die Weltausstellung. Sie hatte die-
sen Onkel noch nie vorher getroffen, erinnert sich aber noch heute
daran, wie sie sich freute, dass sie Ruggeller Dialekt mit ihm sprechen
konnte. Es war ihr eine grosse Hilfe zu wissen, dass sie im neuen Land
einen Verwandten hatte, der nicht allzu weit entfernt war.
Mutter lernte auch andere Swiss Nannies kennen, die in New York
arbeiteten. Ab 1966 besuchte sie immer öfter das Lokal «Lorelei» an
der Fast Side von Manhattan. «Lorelei» war damals ein beliebter
Treffpunkt für alle «versetzten» Europäer, die hier ihre Wurzeln pfleg-
ten: Schweizer, Deutsche, Schweden, Italiener und Rita als einzige
Liechtensteinerin trafen sich hier zu Dinner und Tanz. Hier tritt nun
Vater zum ersten Mal auf den Plan: Franco Massaro hatte eine Vorlie-
be für Swiss Girls, ähnlich wie Mutter eine Schwäche für Italiener hat
te. Mutter sagt, er habe immer an einem reservierten Tische in einer
Gruppe von Italienern gesessen. Eduardo Franco und Rita «gingen
miteinander» und heirateten schliesslich im September 1968.
Vater war 1961 im Alter von 32 Jahren eingewandert — ohne auch
nur ein Wort Englisch zu können. Als seine Familie beschloss, von Sizi
lien nach Norditalien zu ziehen, entschied sich Franco für Amerika
Für ihn war es in der Neuen Welt viel schwieriger als für Mutter. Er
vermisste seine Familie sehr, hatte Heimweh und geriet zu all dem
noch an Leute, die Einwanderer übers Ohr hauten. Er wohnte bei
einer Familie aus seinem Heimatdorf in Sizilien und arbeitete zuerst
auf dem Bau und dann in einer Pizzeria. 1968 eröffnete er zusammen
mit einem paesano sein erstes Restaurant in Connecticut. Es war der
amerikanische Traum - etwas, was ihm wohl nie möglich gewesen
wäre, wäre er in Italien geblieben. 1973 eröffnete er das Restaurant
«Venice» in Ridgefield (Connecticut), das er nun seit 25 Jahren erfolg-
reich führt. Mutter wohnte die erste Zeit noch in der Bronx und arbei
tete in Manhattan. Vater kam jede Woche eineinhalb Tage zu Besuch
Kurz bevor ich im September 1969 geboren wurde. zog auch Mutter
nach Connecticut.
Die An- (oder Rück-?)ziehungskraft Europas blieb in all den Jahren
stark. Die Familienangehörigen in Europa wollten immer, dass wir
Massaro-Öhri
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