kräftige, resolute Frau. Schon am Telefon bei meiner Ankunft war mir
ihre Stimme aufgefallen: Sie war robust und zeugte von einem starken
Körper und einer intensiven Lebenskraft.
Unter ihrem Pelzmantel in der rot-orangen Farbe ihrer Haare, den
sie über die Schultern gelegt hat und bei unseren beiden Treffen nie
ablegt, trägt sie ein gold- und silberbesticktes, beiges Jersey-Hosen-
kleid, an den Füssen goldfarbene Schuhe. Ihre Finger sind geschmückt
mit dicken goldenen Ringen. In ihrem Gesicht, das geschminkt und
dessen Falten überpudert sind, leuchten die Augen. Hier, im fernen
Mexiko, nach zwölfstündigem Flug, in einem Zimmer, dessen Einrich-
tung mir nicht fremder sein könnte, gegenüber dieser mit keiner an-
dern Begegnung vergleichbaren Frau, tritt mir aus ihren Augen der
Widerschein von Altbekanntem entgegen: die helle, bäurische Wach:
samkeit, das Unverrückbare von kantigen Felsen, der Charme des
Rheintals.
Nach 73 Jahren Distanz von ihrer Muttersprache, dem Triesner
Dialekt, spricht sie nur noch Schriftdeutsch. Die Sprache ihrer Kind
heit ist ihr abhanden gekommen, die Bilder von damals sind ihr
geblieben: «In Gedanken können wir sein, wo wir wollen - auf Mat-
schels, auf dem Rappenstein, ich sehe das Schneekreuz dort oben,* ich
höre die Glocken der Kirche von Triesenberg, sehe die Blumen, die
Hündlein balgen sich auf der Wiese. Sie brauchen sich in ihrer Vor-
stellungskraft nicht zu begrenzen.»
Wir sitzen auf farbigen, samtüberzogenen Sesseln mit hohen ver-
zierten Lehnen in der Ecke des Raumes mit dem dunklen wuchtigen
Mobiliar der spanischen Kolonialzeit und theatralisch drapierten
schweren Vorhängen. «Das Leben ist sehr einfach», sagt sie, und auf
die Frage nach ihrem Alter meint sie: «Zch bin zeitlos. Zu sagen: Ich
habe noch zehn Jahre vor mir, ist eine Sünde gegen Gott.»
An der Wand lehnt ein Bild von ihr, ein wunderschönes Porträt, das
sie als Maria Magdalena zeigt, «La Pecadora de Magdala» — «Die Sün
derin von Magdala». «Ich habe den Text und die Filmbearbeitung
selbst geschrieben. Diese Geschichte, die die meisten Menschen, vor
allem die Christen kennen, musste stimmig sein. Aus diesem delikaten
Thema wurde ein spiritueller Film. Mein Mann sagte, ohne seine Frau
Medea hätte er diesen Film nicht realisieren können. <Sie ist eine Stu-
dentin der Bibeb, sagte er. Der Film wurde in neun Sprachen gezeigt
Er lief zur Zeit des Papstes Pius XII. Die Prinzessin Pacelli, eine Ver-
wandte des Papstes, sorgte dafür, dass er im Vatikan gezeigt wurde.»
Nach einer Produktionszeit von einem Jahr wurde der Film am
L0. Oktober 1946 im Kino «Iris» in Mexico City uraufgeführt und lief
sechs Wochen lang. Der mexikanische Filmdokumentarist Emilio Gar-
cia Riera schreibt in seinem Kommentar, dass der Filmtext ihr als
Kindie de Contreras Torres