allem fähig. Da ich sehe, dass uns nichts gelingt, habe ich nur Selbst-
mordgedanken im Kopf.»!“* Für ihren Mann Martin schienen dagegen
die materiellen Einbussen aufgrund der Kinderzahl nicht so sehr im
Vordergrund zu stehen. In einem seiner wenigen Schreiben hob er die
unterstützende Funktion der Kinder und ihre Mithilfe bei der Landar-
Jeit besonders hervor."
1894 kam der dritte Sohn, Aim6€, zur Welt. Ihre Verwandtschaft in
Frankreich war nicht begeistert von diesem Zuwachs, und ihre Tante
Fontaine schrieb: «Zch war einigermassen überrascht, diese Neuigkeit
von dir zu erfahren. In Bezug auf Deine momentane Lage wäre es
sicher besser für Dich gewesen, dass du bei deinen zwei Kindern
geblieben wärst. Aber wenn dein Mann anders entscheidet, muss man
sich fügen und sich in die Hand Gottes geben.»"“*
Mutter und Tante rieten stets zu einer geringen Kinderzahl. Die
Beschränkung auf wenige Kinder biete diesen bessere Chancen, so der
Grundtenor. Aline teilte diese Ansicht, doch ihr Mann Martin entschied
anders. «Der Wunsch von Martin ist endlich erfüllt worden, wir haben
eine Tochter.»!*” Madeleine, «die jüngste und hoffentlich letzte» wurde
im April 1896 geboren. Erst kurz vor der Entbindung berichtete Aline
ihrer Mutter von dieser neuen Schwangerschaft: «Wenn dich dieser
Brief erreicht, werde ich es überstanden haben.»'“® Die Mutter reagier-
te beleidigt: «Bin ich denn nicht mehr länger deine Mutter, dass du die
Lage, in der du dich befindest, vor mir verheimlichst?» Sie hoffte, dass
Martin nun genug habe mit vier Kindern. «Sie kosten viel, vor allem in
heutiger Zeit. Man ist zu eitel, man weiss nicht mehr, wie sie zu pfle-
gen und zu erziehen. Ich vermute, dass es bei euch ist wie bei Emile,
dass ihr nicht die Mittel habt, euere Kinder in Glanz und Gloria gross-
zuziehen.»!”?
Aline und Martin hielten sich auch weiterhin nicht an die generati-
ven Verhaltensempfehlungen der Familie in Frankreich. Robert, ihr
3ünftes Kind, vergrösserte 1904 als Nachzügler nochmals die Familie,
Die Nichtbeachtung der mütterlichen Ratschläge sowie die Unter-
ordnung dem Willen des Mannes gegenüber, verdeutlicht die Hierar-
chie in dieser Paarbeziehung. Das patriarchalische Beziehungsmodell
wurde jedoch weder von der Herkunftsfamilie noch von Aline oder gar
Martin in Frage gestellt. Es war eine gesellschaftliche Selbstverständ-
lichkeit.
Die Arbeit
«Wenn ich es nicht gut für uns finde, bleiben wir nur zwei oder drei
Tage, um unsere Verwandten zu besuchen.»""
Martin war sich nicht sicher, die Unterstützung der Verwandten zu
finden. Dieser Ungewissheit stand sein Selbstvertrauen in gleichem