kleine Körper des Liebesgottes schon wieder im Aufbruch begriffen? Wol-
len die Flügel ihn nicht augenblicklich in die Lüfte emporheben? Wenn also
das kontemplative Element im Wesen Amors selbst nur von kurzer Dauer ist,
so muß ihm hier gleichwohl eine hohe Bedeutung beigemessen werden
Liebende reagieren empfindsam auf das Faktum der Vergänglichkeit.
Es wächst mit der Liebe zugleich die Furcht, den «Gegenstand» der Liebe zu
verlieren, sei es durch Tod, sei es durch andere bedrohliche Umstände. Seit
der Antike aber gilt auch die Vorstellung vom Tod als Konsequenz der Liebe.!
Schon Sappho (7. Jh. v. Chr.), die griechische Lyrikerin, nennt die Liebe «bit-
;ersüß» und «eine schmerzliche Gabe».* Solcher Einschätzung folgend sowie
arweitert durch neuplatonisches Gedankengut, bringt auch die Renaissance
die Begriffe von Liebe und Tod eng miteinander in Verbindung, Ja setzt sie
einander gleich. Dabei unterliegt dem Tod ein durchaus doppeltes Verständ-
2is — im eigentlichen Sinn als physisches, im übertragenen Sinn als seelisches
Ereignis.“ Ein dem venezianischen Maler Lorenzo Lotto (?1480-1556/57)
zugeschriebenes Gemälde* zeigt uns den kleinen, nackten Liebesgott bei der
Krönung eines Totenkopfes mit einem Lorbeerkranz, wobei der Schädel auf
einem Kissen ruht, dessen vier Ecken mit Quasten verziert sind. Sinnbild-
‘ich steht dieses Kissen für Süße und Lust, der Schädel für die Bitterkeit des
Todes, so daß auch hier die Vorstellung von der «bittersüßen» Liebe zur
Anschauung gelangt. Lotto scheint aber vor allem mitteilen zu wollen,
laß dem Tod, der durch und für die Liebe erlitten wurde, die höchste Ehre
zuteil wird.
Rembrandts Darstellung des Liebesgottes unterscheidet sich wesent-
lich von derjenigen Lottos, und dennoch verbindet beide ein wichtiger Bild
zegenstand — das quastenverzierte Kissen. Amor selbst liegt, neben dem Bo-
zen, auf diesem Kissen. Er stützt seinen linken Arm darauf ab, dessen Hand
die Muschel mit der Seifenblase hält. Das Sinnbild der Lust wird mit dem
Sinnbild der Vergänglichkeit verbunden, das Süße also gleichfalls mit dem
Bitteren. Der direkte Hinweis auf den Tod jedoch fehlt und klingt, wenn
überhaupt, nur in der Seifenblase an.° Ebenso fehlt Rembrandts Amor alles
Zlegische. Sein Gesichtsausdruck ist frei von Wehmut. Er präsentiert sich, un-
zeachtet aller Nachdenklichkeit, als sorglos-umtriebiger Gott, dem das Er-
zeugen von Seifenblasen vielleicht sogar zum heiteren Spiel gerät. Auch ist
ar, im Unterschied zu Lottos Amor, nicht der Pfeile und des Bogens, der «In-
zignien» seiner Macht, beraubt. Er ist und bleibt eine grundsätzlich positive
Zraft, die wir mit Sympathie betrachten dürfen — auch wenn den süßen
Zrüchten seines launischen Wirkens ein bitterer Beigeschmack eignen mag.
Wir wissen nicht, ob Rembrandt Lottos Gemälde kannte, und es ist
wohl auch unerheblich. Möglicherweise aber wird ihm ein Kupferstich von
YJendrick Goltzius aus dem Jahre 1594 vor Augen gewesen sein,’ der sich
naheliegender zum Vergleich anbietet. Dort ist ein nackter, gelockter Knabe
vor offener Landschaft mit der Herstellung von Seifenblasen beschäftigt. Er
liegt, in ähnlicher Haltung wie Rembrandts Amor, auf einem Tuch auf dem
Erdboden. Sein linker Arm, mit dessen Hand er eine Muschel umgreift,
stützt sich auf einen Schädel. Sein rechter, erhobener Arm ist ausgestreckt.
Die Hand hält einen Strohhalm, von dem sich Seifenblasen gelöst haben, die
hier und da schon platzen. Bekümmert schaut der Knabe ihnen nach. Ihm