Die Folgen der Rache Dianas für die Nachlässigkeit des Königs Oeneus von
Kalydon schlossen auch Althaea ein, die sich, nach dem Tod der Brüder und
des Sohnes, selbst nun des Lebens beraubte. Zurück blieb Oeneus, König ei-
nes vom Eber verwüsteten Landes, mit grauem Haar und greisem Gesicht,
das er mit Staub bestreute. Er beklagte sein Leben. Meleagers Schwestern
aber, von unstillbarer Trauer erfaßt, wurden von Diana, nachdem sie das Un-
glück «bis zur Neige genossen», in Vögel verwandelt.
10 Niobe mit ihren Kindern von Diana verfolgt
Auf welche Geschichte Dianas das Gemälde von Frans Wouters zielt,
läßt sich keineswegs sicher und zufriedenstellend beantworten. 1811 für die
Fürstlichen Sammlungen erworben (als Pieter van den Avont), wird es im
Liechtensteinischen Galeriekatalog von 1873 wie folgt beschrieben: «Land-
schaft. Vorn eine Durchsicht auf eine von Bergen begrenzte Ebene; im Vor-
dergrunde ruht eine Mutter mit zwei Kindern, auf welche Diana aus den
Wolken mit Bogen und Pfeil herabzielt.» Im Katalog von 1885 heißt es dann:
«... im Vordergrund ruht eine Mutter mit zwei Kindern, Diana zielt aus den
Wolken mit Bogen und Pfeil auf einen Hirschen herab.» Der Galeriekata-
log von 1931 enthält den gleichen Wortlaut wie der Katalog von 1873, je-
doch unter Hinzufügung folgenden Kommentars: «W.-W. erklären das Bild
unrichtig: Im Vordergrund eine Mutter mit zwei Kindern, «denen im Walde
eine göttliche Erscheinung zuteil wird». Anders die Deutung der Kataloge
(von 1873): Diana zielt auf Mutter und Kind aus den Wolken herab» oder
{von 1885): «Diana zielt aus den Wolken auf einen Hirsch herab».» Unzwei-
felhaft ist die Identität Dianas, welche bogenschießend auf einer Wolke er-
scheint und den sie kennzeichnenden Halbmond über der Stirn trägt. Wo
aber zielt sie hin? Ist sie Jagd- oder Rachegöttin? Verlängert man den Pfeil
in gerader Linie, so zielt er weder auf den Hirschen, noch auf die Mutter mit
ihren beiden Kindern, sondern schlichtweg auf den Waldboden irgendwo
dazwischen. Vermutlich hatten die Figuren für Wouters kaum mehr als Staf-
fagefunktion. Sie dienten ihm zur Belebung einer überaus frisch und reiz-
voll gemalten Waldlandschaft. Das könnte die Ungenauigkeit der Zielrich-
tung von Dianas Waffe erklären. Da diese Figuren nun aber vorhanden sind,
stellt sich auch der Wunsch nach ihrer Deutung ein.
Zwei antike Erzählungen sind überliefert, in welchen Diana mit ihren
Pfeilen auf Menschen zielte: jene von Koronis und jene von Niobe. Koro-
nis war die untreue Geliebte des Apollon, des Bruders der Diana. Von ihm
war sie schwanger mit Asklepios, dem künftigen Gott der Heilkunst. Ihren
Umständen zum Trotz bestieg Koronis das Lager des Ischys, eines schönen
Jünglings aus Arkadien, den sie begehrte. Als Apollon sich über diesen Fre-
vel bei seiner Schwester beklagte, rächte diese ihn, indem sie einen ganzen
Köcher voller Pfeile auf Koronis verschoß. Schwanger ist die Junge Frau in
Wouters’ Gemälde wohl nicht, vor allem aber gibt es keinen literarischen
Hinweis darauf, daß sie bereits zwei Kinder hatte, als sie durch Diana ums Le-
ben kam. Niobe wiederum, die Gattin des thebanischen Königs Amphion,
0)
Frans Wouters (1612-1659)
Niobe mit ihren Kindern
von Diana verfolgt
Holz; 68 x 109 cm
ınv. Nr. G 693
Erworben: 1811 durch Fürst
Johannes I.