2 WVenus Medici
Zu den von Fürst Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein
(1657-1712) am meisten geschätzten Kunstwerken gehörte die sogenannte
Venus Medici, eine nahezu lebensgroße Marmorstatue aus dem 2. Jahrhun-
dert n. Chr., welche nach einem griechischen Bronzeoriginal des 1.Jahrhun-
derts v. Chr. entstand und 1677 aus Rom dauerhaft nach Florenz, in die Tri-
buna der Uffizien, überführt wurde.! Gemäß seinem Wunsch, die schönsten
Werke der Kunst von der Antike bis zum Barock wenigstens als Kopie sein
eigen nennen zu können, sofern sie nicht als Original erworben werden
konnten, beauftragte der Fürst im Jahre 1695 den florentinischen Bildhauer
Massimiliano Soldani Benzi, der als Hofkünstler im Dienste des Großher-
zogs der Toskana, Cosimo II. de’ Medici, stand, eine Bronzekopie nach der
Marmorstatue für seine Sammlungen anzufertigen. Soldani schuf folglich
eine Kopie nach einer Kopie. die jedoch den Vorteil hatte, im ursprünglichen
Werkmaterial neu zu erstehen, in Bronze, die Johann Adam dem Marmor
vorzog. Nach ihrer Ankunft in Wien im Jahre 1707 fand sie Aufstellung im
dortigen Stadtpalais.
Die Venus Medici wurde nicht allein vom Fürsten von Liechtenstein
geschätzt, sondern gehörte nach dem Urteil von Kunstkennern und -heb-
habern über Jahrhunderte hinweg zur schönsten und bedeutendsten Statue
schlechthin. Auch Künstler nahmen häufig und anerkennend Bezug auf sie,
indem sie sie entweder kopierten oder als Zitat in ihr eigenes Werk einflie-
ßen ließen, wie etwa Botticellis (?1444—1510) berühmte Geburt der Venus” un-
terstreicht. Die mediceische Venus präsentiert sich dem Betrachter im Ge-
stus der Schamhaftigkeit, wie er bereits von der Kapitolinischen Aphrodite®
vorweggenommen wurde. Im Kontrapost stehend, wendet sie den Kopf
nach links und bedeckt mit der Rechten ihre Brüste, mit der Linken ihren
Schoß. Gleichsam in spontaner Regung sich vor unerwünschten Blicken
schützend, gibt sie dennoch mehr preis, als sie verbirgt. Eben darin liegt ihre
Anziehungskraft, wie gleichermaßen in den weich fließenden Formen des
Körpers und dem jugendlichen Liebreiz des Gesichtes.
Der antike Kopist fügte seiner Marmorstatue einen Baumstamm und
einen Delphin, auf dem zwei kleine Eroten reiten, hinzu. Er verlieh dem
Werk damit mehr Standfestigkeit, die das ursprüngliche Bronzeoriginal
nicht benötigte. Soldani übernahm das Motiv des Delphins, welches uns dar-
auf aufmerksam macht, daß Venus eine dem Meer entsprungene Göttin ist.
Im Unterschied zu Homer (8. Jh. v. Chr.), bei dem die Liebesgöttin eine
Tochter des Zeus und der Dione ist,* berichtet Hesiod (geb. ca. 750/20 v.
Chr.),5 daß sie aus dem Schaum (griech. aphros, daher ihr griechischer Name
Aphrodite) entstand, der sich im Meer um das abgeschnittene Geschlecht
des von Kronos entmannten Uranos, der Personifikation des Himmels, ge-
bildet hatte. Über die Insel Kythera ging ihre Reise nach Kypros (Zypern),
wo sie dem Meer entstieg und an Land ging. Voller Poesie und einfühlsam
wie kein anderer jemals nach ihm, beschreibt Hesiod die Vorrechte der Ve-
nus gegenüber den Menschen und ewigen Göttern — zartes Geflüster unter
den Mädchen, Betörungen, Lächeln, süßes Vergnügen und Lust und schmei-
chelnde Bande der Liebe.®
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Massimiliano Soldani Benzi
116561740)
Venus Medici
(1699-1702)
Nach der Antike
Bronze; Höhe: 157,5 cm
Inv. Nr. S 537
Erworben: 1707 nach Auftrag
durch Fürst Johann Adam Andreas 1
vom Künstler