Volltext: "Götter wandelten einst..."

statt eines Nymphenleibes nur Schilf in Händen. Der Wind aber strich, wäh- 
rend der Gott noch seufzte, über das Röhricht und erzeugte einen zart klin- 
genden Ton. Verzückt über dessen Süße rief Pan: «Dieses Gespräch mit dir 
wird mir bleiben», und er schnitt die Rohre des Schilfs in verschiedener 
Länge und fügte sie mit Wachs zusammen. So hat er «im Namen der Flöte 
den Namen des Mädchens bewahrt».' Auf der Syrinx, die wir auch Panflöte 
zu nennen pflegen, spielte fortan der Hirtengott, und von gleicher Art war 
jenes Instrument, nach welchem Argus den Merkur befragte. Pan fand Trost 
in seiner Erfindung. Argus hingegen fand den Tod, denn über die vom Göt- 
terboten erzählte Geschichte des Ursprungs der Rohrflöte schlief er ein, und 
Merkur enthauptete ihn, um Io zu befreien. 
Der Schöpfer des kleinen Gemäldes zeigt Syrinx erschöpft am Ufer 
des von dichtem Wald umstandenen Ladon angekommen. Selbst in höchster 
Bedrängnis noch schamhaft, erfleht sie den schwesterlichen Beistand. Der 
Moment ihrer Verwandlung steht unmittelbar bevor. Pan bleibt allein ein 
Bündel von Schilfrohr zurück, das er mit heftiger Gebärde umklammert. 
Empfänglich für den Reiz schöner Töne, wird er seine Lust durch das Spiel 
auf der Flöte zu Kutern verstehen. Und wußte nicht auch schon Apollon aus 
der Not eine Tugend zu machen (siehe Nr. 15), als sich ihm Daphne — eine 
Nymphe wie Syrinx — entzog durch Verwandlung in Lorbeer? 
59 Ein Göttermahl 
Paun köstlichen Mahl haben sich die Götter versammelt, in felsigem, 
von Grotten durchzogenem Grund, den dicht-belaubte Bäume säumen und 
quellfrisches Wasser belebt. Sorglos sitzen die Unsterblichen an langer, fein 
gedeckter Tafel — Jupiter und Juno; Merkur und Venus; auch Herkules, Chro- 
nos und andere in weiblicher Begleitung und freundlich einander zugetan 
Etwas abseits, im rechten Vordergrund, vergnügen sich Neptun und Amphi- 
trite; Minerva mit keckem Gewand und federgeschmücktem Helm. Satyrn 
und Nymphen haben sich unter die friedliche Gesellschaft gemischt; kleine 
Knaben, die Fische fangen. Diverse Leckereien erfreuen die Gaumen der 
Anwesenden — Pasteten, Gemüse und frische Austern; Backwaren und Obst. 
Höchsten Genuß aber bereiten wohl Trauben und Wein, die Gaben des Bac- 
chus, dessen buntes Gefolge von links der Tafel entgegenzieht. Der trunkene 
Silen muß freilich getragen werden. Mit einladender Geste wendet sich der 
Gott des Weines an einen Gast in orientalischer Tracht, den er vertraulich bei 
der Hand hält. Tantalus, dem König von Lydien, war es vergönnt, mit den 
Göttern zu speisen.! Jupiter war sein Vater, der ihn Nektar und Ambrosia, die 
Speise der Unsterblichen, kosten ließ. 
Darauf hinzuweisen, daß der irdische Herrscher die Gastfreundschaft 
der Himmlischen niederträchtig mißbrauchte, scheint dem Bilde Van Stal- 
bemts, in dem bacchantisches Vergnügen zum Ausdruck kommt, wo zwi 
schen Gott und Mensch ein friedliches Einvernehmen herrscht, nicht ange- 
messen. Und doch war Tantalus seiner Vorrechte nicht würdig. Er plauderte 
Gespräche aus, die er am Tisch der Götter hörte, und er ging einst sogar so 
59 
Adriaen van Stalbemt (1580-1662) 
Ein Göttermahl 
Holz; 75x 113 cm 
Inv. Nr. G 327 
Erworben: vor 1805
	        

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