wesentlich auch die Landwirtschaft, von der damals
der grösste Teil der Bevölkerung lebte. Das techni-
sche Zeitalter erfasste die bäuerlichen Strukturen und
veränderte sie grundlegend.
Umstrukturierung der Landwirtschaft
In seinem Jahresbericht gibt der Landwirtschaftliche
Verein 1886 folgende aufschlussreiche Situationsana-
Iyse: «Es lässt sich nicht verkennen, dass die neuge-
schaffenen grossen Verkehrsverbindungen mit dem
Innern des grossen österreichischen Kaiserstaates auf
die hierländischen und die benachbarten österreichi-
schen und schweizerischen landwirtschaftlichen Zu-
stände bereits einen merklichen Einfluss ausüben und
uns allmählich, aber stetig in eine vollständige Umwäl-
zung des landwirtschaftlichen Betriebes hineinziehen.
Heutzutage kann bei uns nur derjenige Bauer von ei-
ıem wirklichen landwirtschaftlichen Nutzen sprechen
welcher ein schönes Stück Vieh, Wein oder Obst zu
verkaufen hat. Alle andern Produkte rentiren sich mit
Ausnahme der Kartoffeln gar nicht oder nur schlecht.
weil eben in anderen grossen Ländern die gleichen
Produkte aus mehrfachen Gründen bedeutend billiger
erzeugt werden können. Diese Thatsachen, welche je
der einsichtige Landwirth zugeben muss, üben auf
uns eine zwingende Macht aus und fordern dazu auf,
den alten Gewohnheitsweg zu verlassen und den land-
wirtschaftlichen Betrieb mit vorsichtigem Verständnis
den Ansprüchen der veränderten Zeitlage anzupassen.
Es ist selbstverständlich, dass unsere Landwirthschaft
ihr Hauptaugenmerk auf diejenigen Produkte werfen
muss, deren Absatz uns einen wirklichen Nutzen .
bringt. Diese sind, wie schon bemerkt: Vieh, Obst und
Wein.»
Der Druck zur Veränderung lastete auf allen land-
wirtschaftlichen Betriebszweigen. Wir wollen sie im
folgenden kurz hetrachten.
Ackerbau
Um 1870 hatte der Ackerbau in Liechtenstein einen
Höchststand erreicht. Etwa ein Drittel der landwirt-
schaftlichen Nutzfläche war Ackerland. Dann begannen
die Agrarpreise stetig zu sinken. Denn seit der Eröff-
nung der Bahnlinie drückten Getreideeinfuhren aus
dem Innern Österreichs, insbesondere aus Ungarn die
Preise. Der Ackerbau ging zurück. So mancher Mais-
oder Weizenacker wurde in ein Kleefeld umgewandelt
Mit so verbesserter Futterlage konnte der Viehstand
erhöht werden. Der Viehverkauf warf bedeutend
mehr Gewinn ab als der Absatz von Ackerprodukten.
Auch im Wein- und Obstbau war mehr Rendite zu er-
wirtschaften.
Weinbau
Neben Vieh war Wein das bedeutendste traditionelle
Exportgut Liechtensteins. Auch der Weinbau ging seit
den 1870-er Jahren stetig zurück. Mit der Eröffnung
der Arlbergbahn war die Konkurrenz der ausländischen
Weine aus Südtirol, Ungarn und Niederösterreich
spürbar geworden. Zudem waren mit den schnellen
grossräumigen Warentransporten auch neue Reb-
krankheiten und Schädlinge eingeschleppt worden.
Eine Reihe von Missernten entmutigten die einheimi-
schen Winzer zusätzlich.
Rindviehzucht
Das Rindvieh war ein Hauptexportgut des Landes.
Ende des 19. Jahrhunderts wurden jährlich zwischen
700 und 1000 Stück ausgeführt. Als nach der Eröff
nung der Arlbergbahn immer mehr minderwertiges
Vieh aus Tirol und dem Innern Österreichs auf den
Märkten Vorarlbergs auftauchte und die Preise für
weniger gutes Vieh drückte, war der liechtensteini-
sche Viehzüchter erneut veranlasst, sich stärker auf
die Zucht von hochwertigem Vieh zu konzentrieren
Dieses wurde immer noch zu günstigen Preisen ge
handelt. Da in Liechtenstein traditionell wenig
Schlachtvieh erzeugt wurde und die Bauern auf Nutz-
jerzucht ausgerichtet waren, brachte die Einfuhr vor
illigem ungarischem Schlachtvieh keine existentiel-
‚en Probleme mit sich. Dennoch waren zusätzliche
Anstrengungen zur Verbesserung der Viehzucht erfor-
derlich. Der Landwirtschaftliche Verein entfaltete
eine rege Tätigkeit, und der Staat ergriff eine Reihe
von Förderungsmassnahmen. Ein Herdebuch wurde
eingeführt. Das Viehmarkt- und Ausstellungswesen
wurden erweitert, die Prämienleistungen für Vieh er-
höht, das den Anforderungen an einen rassenreinen
Braunviehschlag entsprach. Nur mit Umstellung und
Angebot an hochwertigem Vieh konnte Liechtenstein
seine Absatzprobleme meistern. Mit minderwertigem
Vieh wäre der Lechtensteinische Viehhandel der aus-
ländischen Konkurrenz nie gewachsen sgsewesen
Pferdehaltung
Im Fuhrwesen lösten im Verlauf des 19. Jahrhunderts
Pferde die Ochsen als Zugtiere ab. Der Pferdebestand
nahm zunächst zu.
Mit dem Rückgang des Transitfuhrwesens verminderte
sich auch die Pferdehaltung wieder. Pferde dienten
nur mehr als Zugtiere im Landwirtschaftsbetrieb und
im lokalen Fuhrwesen. Im folgenden Jahrhundert soll
ten sie auch in dieser Funktion durch Motorfahrzeuge
abgelöst werden.