Liechtenstein — Ein Kleinstaat im Herzen Europas
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Liechtenstein und die Schweiz für die weiteren europäischen Integrationsschritte ver-
schiedene Ausgangslagen vorweisen, zahlreiche rechtliche und praktische Fragen auf-
werfe. Insbesondere stehe die Bestimmung des letztmals im Jahre 1991 revidierten Zoll-
vertrages von 1923 im Vordergrund, wonach ein EWR-Beitritt Liechtensteins nur
zusammen mit der Schweiz möglich sei. Eine Ratifizierung des EWR-Abkommens hätte
daher zur Folge, dass dieser Zollvertrag entweder durch Kündigung aufgelöst oder aber
entsprechend angepasst werden müsste. Nachdem man die sicherste Möglichkeit, näm-
lich das Gleichziehen mit der Schweiz verpasst hat, begnügt man sich derzeit mit dem
Vorhaben, den Zollvertrag entsprechend anzupassen. Sollte diese Anpassung jedoch
nicht erfolgreich verlaufen, wäre der Landesfürst rein rechtlich gesehen dennoch bevoll-
mächtigt, den EWR-Vertrag ratifizieren zu lassen. Nachdem. S.D. jedoch noch im
Dezember 1992 zugesagt hat, einen EWR-Beitritt Liechtensteins nur dann weiter zu ver-
folgen, wenn der Zollvertrag zumindest im bereits vorhandenen Umfang erhalten
werden könne, wird dann wohl nichts anderes übrig bleiben, als einen anderen,
vielleicht weitaus besseren Weg der europäischen Integration zu suchen. Von Seiten der
EFTA ist im Januar 1993 bekannt geworden, dass als weitere Konsequenz aus dem
EWR-NEIN der Schweiz vermutlich der Sitz der EFTA-Überwachungsbehörde (ESA)
von Genf nach Brüssel verlegt werden müsse. Die Schweiz wurde im übrigen dazu ein-
geladen, bei der Einführung des EWR als Beobachterin teilzunehmen. Aus finanzieller
Sicht wurde verlautbart, dass die Schweiz in Budgetfragen trotz der Ablehnung des Ver-
trages mit sich reden lasse, jedoch bei der Finanzierung des Kohäsionsfonds keine Zah-
ungen leisten werde.
29. Zusammenfassung Januar 1993
Nachdem das Fürstentum Liechtenstein völlig unerwartet dem EWR zugestimmt hat,
entschied sich das isländische Parlament mit einer Mehrheit von 6 Stimmen ebenfalls für
einen Beitritt. Um weiteren Spekulationen keinen Vorschub zu leisten, hat die EG-Kom-
mission dann zuhanden des Ministerrates die Empfehlung angenommen, den EWR-Ver-
trag so zu belassen wie er ist. Das Ausscheiden der Schweiz wurde denn auch durch ein
entsprechendes Zusatzprotokoll vermerkt. Ernüchterung in Liechtenstein: Der Traum
vom "besseren” EWR-Abkommen ist geplatzt ! Obwohl die Zollvertragsverhandlungen
zwischen der Schweiz und Liechtenstein bereits schon im Dezember 1992 aufgenommen
wurden, konnte man Ende Januar 1993 noch keine positiven Meldungen vernehmen. Ei-
nes wurde jedoch klar, die von verschiedener Seite propagierte Zielvorstellung, wonach
die Anpassung des Zollvertrages mit ein oder zwei Korrekturen bewerkstelligt werden
könnte, entsprach entweder einer Fehleinschätzung oder wurde bewusst so formuliert.
Interessant ist ferner, dass man sich auf Seiten der liechtensteinischen Verhandlungsdele-
gation mehrheitlich optimistisch äusserte, während auf Seiten der Schweiz nicht allzu
positive Voten vernommen werden konnten.
30. Fürst Hans-Adam II.: Abänderung Zollvertrag nicht allzu schwierig
Anfang Februar 1993 erklärte S.D. Fürst Hans Adam IT., dass die Vorarbeiten zur Abän-
derung des Zollvertrages soweit gediehen seien, dass z.T. schon ganz gute, pragmatische
Lösungen auf dem Tisch lägen, welche teilweise schon mit den Partnern besprochen
worden seien. Die Anpassung des Zollvertrages sei nicht sehr schwierig. Problemati-
scher sei erstmals festzustellen, wo der Zollvertrag beginne und wo er ende, dies sei
auch in der Vergangenheit nie 100%-ig klar gewesen. Im weiteren müsse geprüft
werden, welche Auswirkungen die beiden unterschiedlichen Rechtsordnungen hätten.