fliegenden Merkur zu einer neuen Komposition zusammen, die allegorisch den Herzog von
Buckingham ehrte und frühstens 1625 entworfen wurde (Ölskizze in der National Gallery, London;
Held 1980, S. 390-393). Die künstlerische Herkunft der Grazien macht deutlich, daß das Bild nicht
für Buckingham, sondern für Whitehall gedacht war, was erneut den Vorrang des letzteren belegt.
Raffaels Beschreibung der Grazien, ein Teil seines Zyklus über die Geschichte der Psyche im
Farnesina in Rom, war eine unmittelbare und geeignete Vorlage für Rubens' Wiedergabe der
Erzählung. Wieder einmal hatte sich Rubens, wie so oft in seiner Karriere, an den großen Meistern
der Vergangenheit gemessen. Er ließ sich jedoch auch noch von anderer Seite her inspirieren, was
bislang scheinbar unbemerkt geblieben ist. Während seines Italienaufenthalt hatte eine römische
Statue der Psyche im Garten der Villa d'’Este in Tivoli (jetzt im Museo Capitolino in Rom) gestanden.
Diese Statue scheint das Modell für Psyches zusammengekauerte Haltung, die Bewegung ihres
linken Arms und ihren nach oben gerichteten Blick gewesen zu sein. Demnach findet sogar die am
unbefangensten dargestellte Figur - das Mädchen, das, einen Ausdruck von Staunen auf dem Gesicht,
der Anziehungskraft der Erde trotzend ins himmlische Reich emporgehoben wird - ihren Ursprung in
der klassischen Kunst.
Reinhold Baumstark
LITERATUR: Kat. 1767, Nr. 497; Kat. 1780, Nr. 566; Kat. 1873, Nr. 197; Kat. 1885, Nr. 117; Rooses 1886-1892,
Bd. 3, Nr. 673; Bode 1888b, S. 17; K.d.K 1921, S. 470; Burchard 1930-1931, S. 7-18; Kat 1931, Nr. 117; van
Puyvelde 1948, S. 80; Luzern 1948, Nr. 110; Jaffe 1965, S. 381; Held 1980, S. 200, 391 und 392.
105
m
Peter Paul Rubens
Flandern, 1577-1640
DIE TODESWEIHE DES DECIUS MUS
ÖL auf Leinwand; 287 x 334 cm
Liechtenstein Inv. Nr. 49
Der Tod des Konsuls, angekündigt in einem Traum, bestätigt durch das Omen und mit stolzer
Bereitschaft, sich zu opfern, um dem römischen Volk zum Sieg zu helfen, hingenommen, konnte
nicht ohne Zeremonie vonstatten gehen. Nach römischem Brauch mußte sich das Opfer einem
feierlichen Ritus unterziehen, der devotio. Die detaillierteste Beschreibung dieses Ritus aus der
Antike stammt aus Livius' Bericht über Decius Mus. Der dem Tod geweihte Held mußte sein Leben
und das seiner Feinde den Manen, den Göttern der Unterwelt, und Tellus, der Göttin der Erde,
weihen. Während er das formelhafte Gebet sprach, mußte er mit beiden Füßen auf einem Bogen
stehen, "den Kopf bedeckt und eine Hand aus einem Umhang, der fest unter dem Kinn
zusammengehalten wird, herausstreckend," berichtet Plinius. Die heldenhafte Selbstaufopferung
findet Ausdruck in der schwermütigen, gehobenen Sprache des Todesgebets: "Janus, Jupiter, Vater
Mars, Bellona, Lares, göttliche Novensilen, göttliche Indigiten, ihr Götter in dessen Macht wir und
unsere Feinde stehen, und ihr, göttliche Manen, ich rufe euch an und bete zu euch; ich bitte um eure
Gnade; gebt dem Volke Roms Überlegenheit und Sieg, aber laßt Schrecken, Katastrophen und Tod
über seine Feinde kommen. So ich hier schwöre, für das römische Volk, für die Armee und seine
Legionen, so weihe ich hier die Legionen des Feindes und mich selbst den göttlichen Manen und der
Erde."
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