Edgar Degas (1834-1917)
Les blanchisseuses, um 1879
Radierung und Aquatinta
11,8 X 16 cm
28,4 X 32,5 cm
Bez. u. 1.: 10/11; u. r. (von fremder Hand):
Degas, Les blanchisseuses
Adhemar 32; Delteil 37
"SK 73.04
[862 lernt Edgar Degas Edouard Manet kennen, der ihn in die
Gruppe der künftigen Impressionisten einführt. Degas wird
Stammgast im «Cafe Guerbois» und sucht seine Motive fortan
zuch im Milieu des Pariser Grossstadtlebens. Die Verfechter des
«Modernen» in der Malerei nehmen seine Entwicklung vom Hi-
storienmaler zum «peintre de la vie moderne» im Sinne Baude-
laires mit Genugtuung auf.‘ Der Schriftsteller Edmond de Gon-
court notiert am 13. Februar 1873: «Gestern verbrachte ich
meinen Nachmittag im Atelier eines Malers namens Degas.
Nach vielen Bemühungen, Versuchen und Vorstössen nach allen
Richtungen hin hat er seine Liebe zum Modernen entdeckt, und
nnerhalb des Modernen hat er sein Auge auf die Wäscherinnen
and Tänzerinnen geworfen. Ich kann seine Wahl nicht schlecht
änden, ich, der ich in Manette Salomon diese beiden Berufe als
solche rühmte, die in jetzigen Zeiten einem modernen Künstler
die malerischsten weiblichen Modelle lieferten.»* Das Motiv der
3Züglerin und Wäscherin wird Degas rund 30 Jahre in etwa ebenso
„zielen Gemälden, Pastellen und Zeichnungen beschäftigen. Im
ımfangreichen druckgraphischen Werkkomplex widmen sich
sine Monotypie von 1880 und die vorliegende Radierung die-
;jem Themenkreis. Beide Arbeiten sind sich in Gliederung und
Darstellung des in diffuses Licht getauchten Raumes verwandt.
Das kleine Bild wirkt beinah überladen. Ausschnitthaft erlaubt
2s den Einblick in eine Wäscherei- und Plättstube. Das Atmo-
sphärische, nicht die Gestalt der Büglerin steht im Vordergrund.
urch eine intensive Bearbeitung der Platte erzielt Degas eine
Vielzahl differenzierter Grauwerte, welche — zusammen mit den
faserigen Linien — die herabhängende Wäsche andeuten und
einen dampferfüllten, feuchtwarmen, in Halbdunkel versunkenen
Raum evozieren. Bei der Lösung des Fläche-Raum-Problems
scheint das Blatt von japanischen Holzschnitten inspiriert, wel-
zhe die Gestalten in eine strenge Folie von Vertikalen und Hori-
zontalen eingliedern. In die von Senkrechten dominierte Struk-
tur aus Wänden, Stützbalken und Ofenrohr setzt Degas vier
Gestalten. Von der am Ofen kauernden Frau, die den Betrachter
anzulächeln scheint, führt er den Blick des Betrachters mit der
Diagonalen des Bügeltisches zu den Büglerinnen im Mittel-
zrund und — die Bewegung des Bügelns aufnehmend — über die
_inie ihrer gebeugten Rücken und Köpfe zur schemenhaften
Zückenfigur in der Raumtiefe. Diese Blickführung in den Hin-
tergrund bleibt — überschaut man Degas’ Darstellung «niederer»
3eschäftigungen — der innerbildlichen Ebene verhaftet.
Beim Ausschauhalten nach geeignetem «Material» fällt Degas’
Blick nicht zufällig in die Wäschereien; diese entwickeln sich
im Paris der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem
»lühenden Dienstleistungszweig. Das traditionsreiche Motiv
‘Bügeln und Waschen als geruhsame häusliche Frauenarbeit)
wird von der Realität der frühindustriellen Grossstadt eingeholt,
die aufzuzeigen der Vorstellung des «Modernen» angehört, wie
28 auch der Schriftsteller und Kritiker Louis Edmond Duranty
fordert: «Was wir brauchen, ist der charakteristische, der mo-
derne Mensch in seiner Kleidung, inmitten seiner sozialen Um-
welt [...]».? Degas folgt solchen Appellen auf seine Weise. Sein
Blick ist weder Jerjenige Daumiers, bei dem das Motiv zur So-
zialkritischen Anklage gerät, noch der eines Idealisten. Degas’
3lick auf die trostlosen, banalen Tätigkeiten der «b&te humaine»
arweist sich als der eines Realisten, der unbeteiligt und scho-
ıungslos «mit der Objektivität des Zynikers» schildert.‘ M.S
Vgl. Baudelaire, Charles: Le peintre de la vie moderne. In: Curiosit&s esthetiques
L’art romantique et autres (Euvres critiques. Paris, 1962, S. 453-502.
Das Tagebuch der Brüder Goncourt. Politik, Literatur, Gesellschaft in Paris von
1851 bis 1895. Hrsg. Paul Wiegler. München, 0. J. (1927), S. 149.
Duranty, Louis Edmond: La Nouvelle Peinture. Paris, 1876. Zit. nach Hüttinger,
Eduard: Degas. München, 0. J., S. 41.
Hofmann, Werner: Nana. Mythos und Wirklichkeit. Köln, 1973, 5.62.