Jean Tinguely (1925-1991)
Chevalier a la rose, 1984
Fundgegenstände, Draht und Motor
232 X 185 X 60 cm
Bischofberger 634
LSK 90.01
Jean Tinguely beteuerte vor mehreren Jahren im Gespräch mit
Fritz Billeter, seine Maschinen seien nach wie vor absurd, auch
wenn sie reibungslos funktionierten: «[...] ich habe jede von
ihnen zu einer ganz bestimmten Bewegung verurteilt. In dieser
3ind sie gefangen wie ein Sisyphos, der den von der Bergspitze
herunterrollenden Stein immer wieder aufnimmt und aufs neue
emporträgt. Meine «Sisyphosse> funktionieren zwar, aber sie
produzieren nichts, und deswegen sind sie nicht weniger sinnlos
als meine früheren, sich stotternd und ataktisch bewegenden
Plastiken.»' Dieser Maxime blieb Jean Tinguely treu, auch wenn
seine ebenso subtile wie überschäumende Produktion von Meta-
Maschinen immer gewaltigere Dimensionen annahm. Als Tin-
guely im Herbst 1985 in der Münchner Kunsthalle der Hypo-
Kulturstiftung grosse Projekte wie die Meta-Hölle aufbaute,
zeigte er auch zarter besaitete, an der Wand aufzuhängende Er-
findungen. Eines dieser Kabinettstücke, das in die Liechtenstei-
nische Staatliche Kunstsammlung gelangt ist, heisst wohl wegen
seiner heiteren Stimmung Der Rosenkavalier. Über den Werkti-
tel äussert sich der inzwischen erschienene (Euvrekatalog nicht;‘
er teilt nur sorgfältig die Masse und die materielle Zusammen-
setzung mit. Die Authentizität des Titels verbürgt jedoch der
Katalog der Münchner Ausstellung durch eine schwarzweisse
Reproduktion,? in der von Hand des Künstlers geschrieben steht:
«Der Rosenkavalier 1984». Da bei der Eröffnung der Ausstel-
lung kein Anlass gegeben war, den Künstler auf den «Rosen-
kavalier» anzusprechen, kann man nur posthum spekulieren,
wie Tinguely darauf kam, seine grazil strukturierte, aber nicht
galant bewegte Maschine mit der berühmten, 1911 in Dresden
uraufgeführten Lustspieloper von Richard Strauss zum Libretto
Hugo von Hofmannsthals zu assoziieren. Tinguelys theatralische
Begabung und seine Bereitschaft zur «Meta-Harmonisierung»
als bekannt voraussetzend,* wird es wohl die schwarze Rose
sein, die ihn zu dem Gedankensprung in Musik und Sprache der
frühen Moderne angeregt hat. ET.
Das Kunstwerk, Jg. XX (1967), H. 9/10, S. 15-23. Trier, Eduard: Bildhauertheorien
im 20-Jahrhundert, Neuausgabe. Berlin, 1992, S. 221.
Bischofberger, Christina: Jean Tinguely. Catalogue raisonne. Skulpturen und
Reliefs 1969-1985. Küssnacht/Zürich, 1990, vol. 2, Nr. 634.
Jean Tinguely. Ausst,-Kat. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, 1985.
Abb. 5. 74 u. einlieg. Blatt «Ausgestellte Werke», 0. S. u. Nr.
Billeter, Erika: Jean Tinguely. Spiel und Mysterium. In: Künstler, Kritisches
‚exikon der Gegenwartskunst. München. 1993. Ausg. 24.5.7
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