Jean Tinguely (1925-1991)
Rosenkavalier, 1986
Mischtechnik
29,6 X 41,9 cm
3ez. 1. von oben nach unten: RosenKAValieR,
53.r.: 23. AuGust 1986, u. r.: Jean Tinguely
LSK 91.22
jean Tinguely ist der Meister der ratternden Motoren, der tan-
zenden Kolben und zuckenden Drähte. Seine Skulpturen sind
mposante, ins Dreidimensionale umgesetzte Material- und Be-
wegungscollagen, die zu einer neuen Vorstellung von Plastik
ınd Skulptur geführt haben. Seine Maschinenskulpturen sind
"inguelys Beitrag zur Geschichte der zeitgenössischen Plastik.
3emalt hat er nie, obwohl er es gerne gewollt hätte. «Ich habe
ımmer gemalt. Aber die Malerei blockierte mich. Ich habe kein
Gefühl, wann ein Bild fertig ist. Für mich war das Bild nie fer-
ig. Da war die Bewegung eine Befreiung. Es war eine Sackgas-
se für mich, die Malerei. Ich habe immer die bewundert, die ein
3ild fertigmalen können. Aber bei vielen habe ich gesehen, dass
sie einfach sagen: Punkt, Schluss, fertig. Malerei hat etwas Ab-
geschlossenes, Fertiges, Versteinertes. Das ist nichts für mich.
Also habe ich Bewegung als Material genommen, Motoren,
1abe Elemente bewegt. Meine Malerei konnte ich eigentlich nur
selbst verstehen. Das war mir zu wenig. Die Bewegung ist für
nich alles... Mit ihr bin ich nicht in eine Sackgasse geraten, son-
lern habe den Ausweg gefunden.»' Mit seinen Collagen, die er
an seine Freunde als Briefe, Notierung, Markierungen, Souvenir
schickte, hat Tinguely einen weiteren Weg aus der Sackgasse der
Malerei gefunden. Mit ihnen spielte er, «träumte» er, wie er es in
bezug auf seine Maschinen formulierte. Sie waren ebenso bewe-
zungsfreudig, in keiner Weise festgelegt. Es gab keine Grenzen
ausser der Limitierung durch die Quadratur des Blattes, Er
<onnte in ihnen gestalten, was er wollte und alle Techniken an-
wenden, die sich ihm anboten. Das vorliegende Blatt entstand in
Zusammenhang mit der Skulptur Chevalier ä la rose, die Hein-
:ich Schmid in Auftrag gegeben hatte und die sich heute eben-
falls im Besitz der Liechtensteinischen Staatlichen Kunstsamm-
lung befindet (vgl. S. 274). Mit seinem malerischen Dokument
neldet sich Tinguely bei seinem Auftraggeber. Dies war seine
Art, mit Menschen zu kommunizieren. Er stellte sich mit sol-
;hen aus seiner überschäumenden Phantasie entstandenen
«Briefen» seinem Partner vor, liess ein Feuerwerk von Farben,
Materialien, Linien und Formen sprechen, spielte auf der Fläche
durch, was er sonst dreidimensional in seinen Maschinenplasti-
ken als lebendiges Bewegungsspektakel vor uns ablaufen lässt.
line Reihe von Gouachen aber hat er auch in Zusammenhang
nit seinen Plastiken geschaffen. Sie sind Reflexionen zu seinen
Aeta-Maschinen und verraten, dass der Künstler doch die un-
verkennbare Fähigkeit des malerischen Komponierens besass.”
Auch wenn die Räder in diesen Gouachen, die keine Mixed-
nedia-Blätter sind, in der Bildfläche wie in einem farbigen
Kosmos zu kreisen scheinen, zeugen sie von der überlegten
Irdnung, mit der Finguely ihnen ihren Platz zugewiesen hat.
E.B
interview des Künstlers mit Erika Billeter. In: Art-Expo. Weltrundschau. Baar,
1985, S. 240.
Vgl. dazu Jean Tinguely. Ausst.-Kat. Galerie Bonnier, Geneve, 1986, o. 5.