Jifi Kolär (1914)
Je Modra Noc, Pozor! (Blau ist die Nacht, Vorsicht!), 198€
d
Collage mit Papierstücken aus Himmelskarte
39,9 X 30 cm
Bez. u. r. (blauer Kugelschreiber): JK 88
verso o. I. (Feder in Schwarz): JıRi KOLAR 88 JE MODRA Noc,
Pozor!, u. r.: Jifi Kolär 38 P
LSK 89.12
Jifi Kolär ist ein Meister der Collage. Er hat so viele Collage-
techniken erprobt und erfunden, dass in seiner Monographie
von 1979 ein Lexikon der Techniken aufgeführt ist.' Zwanzig
Jahre hat Kolär Gedichte geschrieben und galt als einer der gros-
sen Erneuerer der Prosa in seinem Land. In den Gedichten hatte
er bereits mit der Minimalisierung der Mittel und der Negierung
der grammatikalischen Formen — d.h. des klassischen Sprach-
systems — gearbeitet, 1961 schrieb er die erste inhaltsfreie Poe-
sie. 1961 bis 1963 suchte er seine Erfahrungen mit der Poesie in
bildhafte Collagen zu übertragen. Die nicht verbalen Gedichte
inspirierten ihn, Gedanken in Collagen zu übertragen. «Meine
Arbeit ist Poesie», erklärte er.? So ist auch die Collage bei Koläf
als poetische Äusserung zu verstehen. Berühmt geworden ist er
durch seine Collagen mit Worten und Texten. Die Schrift nimmt
er als Informationsträger, nutzt aber vor allem auch ihre optische
Wirksamkeit. So sind seine Methoden immer noch die eines
Dichters, wenn er aus Papierschnitzeln Worte zusammenklebt
und sie zu einem neuen Ganzen verwandelt. Als «Dichter eines
neuen Bewusstseins» wird er bezeichnet.‘
Die Collage der Liechtensteinischen Staatlichen Kunstsamm-
lung besteht aus Papierstücken einer Himmelskarte. In Form
sines Apfels ist sie auf den gleichartigen Hintergrund geklebt,
30 dass sich der Apfel nur formal abzeichnet. Diese Frucht ver-
steht der Künstler als mythologischen Gegenstand.‘ Natürlich
denkt man in diesem Zusammenhang an Adam und Eva. Aber
Kolär hat eine eigene Beziehung zum Apfel. Bei seiner Geburt
pflanzten seine Eltern einen Apfelbaum. Dieser Apfelbaum hat
ihm immer viel bedeutet. Er enthält seine persönliche Mytholo-
gie und ist Symbol seiner Kindheit. Im Werk Kolärs kommt er
denn auch zahlreich vor. Die Collage ist aus Sternbildern, die
zerrissen wurden, geschaffen. Ein neuer Himmel nach dem Wil-
len des Künstlers ist entstanden. Anstelle der Worte, die er so oft
aufgegriffen hat, sind die Sterne getreten. Auch sie fungieren als
optischer Reiz, wie es die Worte taten. Unter den zahlreichen
Collagetechniken hat Kolär besonders oft die «Chiasmage» ver-
wendet, eine Wortschöpfung, die eine seiner zahlreichen For-
men der Collage beschreibt. Dabei wird ein Text (oder ein
ganzes Buch) in gleichmässige Stückchen gerissen und zu einer
monochromen neuen Bildtafel zusammengesetzt. Aus einer Re-
produktion, die ursprünglich Abbild der Realität war, ist etwas
eigenes, ist ein neuer Kosmos geworden, geboren aus der Phan-
tasie und kreativen Gestaltungskraft des Künstlers. Die Farbe
Blau hat symbolischen Wert. Sie umschreibt das Dunkel des
Kosmos: «Je tiefer das Blau wird, desto mehr ruft es den Men-
schen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Rei-
nem und schliesslich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Him-
mels, so wie wir ihn uns vorstellen bei dem Klang des Wortes
Himmel», schreibt Kandinsky.” Wann immer wir das reine tiefe
Blau in der Kunst antreffen, schwingt diese Interpretation der
Farbe Blau als Bedeutungsträger mit. E.B.
Jifi Kolär: Hrsg. Institut für moderne Kunst Nürnberg. Zirndorf, 1979, 0. 5.
Lama€ Miroslav; Mahlow, Dietrich: Ji’i Kolär. Köln, 1968, S. 16
- Ebd., S. 139,
* Ebd., S. 16.
Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst. Bern, o. J., S.92.
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