Louis Marcoussis (1883-1941)
Cithare et coquillage, 1922
n
a
Radierung und Aquatinta
51,7 X 70,3 cm
60 X 78 cm
Bez. u. 1: 7e Etat (essai)
Milet 44
LSK 87.01
Über 230 graphische Blätter hat Louis Marcoussis geschaffen
und Bücher zahlreicher Autoren, darunter Apollinaire, Tristan
Tzara, Gerard de Nerval und Georges Huguet, illustriert. Mit
Jacques Villon zusammen wird er als der beste Graveur des
Kubismus angesehen, den er wie Villon niemals ganz aufgege-
ben hat, sondern ihn noch praktizierte, als seine Zeit im Sinne
des «Zeitgeistes» längst vorüber war. So ist Marcoussis der
«Graveur cubiste» par excellence geworden, obwohl er berühmt
ist auch für seine Porträts, die spätestens seit 1927 nicht mehr
nach kubistischen Prinzipien konzipiert sind. Cithare et coquil-
lage aber ist schon dem Thema nach — es gehört zur von den Ku-
bisten so geschätzten Gattung der Stilleben — ein rein kubisti-
sches Werk, das deutlich die Stileigenheiten Marcoussis’
aufzeigt. Unter dem Einfluss des synthetischen Kubismus von
Picasso hatte Marcoussis die Formen seit 1920 immer mehr ver-
einfacht und war zu einer nahezu geometrischen Oberflächen-
wirkung gelangt. Das vorliegende Blatt wird charakterisiert
durch das Ineinander- und Übereinandergreifen geometrischer
Formen, worin einzelne realistische Formen erkennbar sind wie
etwa die Wolken und das Herz (einer Spielkarte). Die Muschel
im Zentrum des Blattes hat die Form eines regelmässigen Ovals
angenommen, eine Form, die sie in der Natur nie hätte, Die Dar-
stellung lebt von den Hell-Dunkel-Kontrasten, die ihm eine selt-
sam mysteriöse Stimmung verleihen und daran erinnern, dass
Marcoussis Rembrandts Radierungen über alles liebte. In For-
mat und technischer Brillanz ist das Blatt eine der schönsten
kubistischen Graphiken Marcoussis’.
Der Künstler hat diese Arbeit wohl selbst besonders geschätzt.
denn er hat das graphische Blatt als Vorlage zu zwei leicht von-
einander abweichenden Bildfassungen benutzt.‘ Hier wird im
Titel auch die Spielkarte erwähnt: Coquillage, cithare et as de
ceur. Hin und wieder hat Marcoussis in seiner Malerei auf gra-
phische Blätter zurückgegriffen,” was zweifellos für den kreati-
ven Stellenwert spricht, den die graphischen Arbeiten in seinem
Werk einnehmen. Sie veranschaulichen, was er im Kreis der
Section d’or mit seinen Freunden anstrebt: die herausragende
Bedeutung, welche die Freundesgruppe dem ästhetischen Er-
scheinungsbild der geometrischen Formen zu verleihen suchte.
Marcoussis, Villon und Gleizes haben mit diesem Ziel den
Kubismus in eine andere Richtung geführt und ihm ein stark
dekoratives Element hinzugefügt, das Picasso und Braque nie
angestrebt hatten.‘ E.B
Dan
Lafranchis, Jean: Marcoussis. Paris, 1961, S. 93/93 B.
Ebd. S. 113.
Haftmann, Werner: Malerei im 20. Jahrhundert. München, 1957, S. 166 ff.
©
L4
5
IC
4
al
Zr
D
3
71
.