Volltext: Fünf Jahrhunderte italienische Kunst aus den Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein

Kat. Nr. 37 
SEBASTIANO RICCIT (1659-1734) 
«KAMPF DER RÖMER GEGEN DIE SABINER» 
{um 1702-03) 
Leinwand; 197 X 303,3 cm 
Inv. Nr. G 243 
Erworben: 1819 durch Fürst Johannes I. 
Drei Jahre nach dem Raub der Sabinerinnen durch die Römer 
(siehe Kat. Nr. 36), kam es, wie Plutarch (Romulus 19) berich- 
tet, zum Kampf zwischen den Römern und Sabinern, dessen auf 
den Höhepunkt zustrebender Verlauf durch die mutige Inter- 
vention der Sabinerinnen alsbald unterbrochen wurde. In der 
hoffnungslosen Lage, entweder den Tod ihrer Väter und Brüder 
oder aber ihrer Ehemänner beklagen zu müssen, entschlossen 
sich die jungen Frauen, selbst in das kriegerische Geschehen 
einzugreifen und die verfeindeten Parteien auseinanderzuhalten. 
Die Szene ereignet sich außerhalb der Stadtmauer Roms, die 
vom rechten Bildrand diagonal der Mitte zustrebt. Ein unüber- 
schaubares Kampfgetümmel beherrscht das offene Feld, auf 
welchem die Männer, voll des Hasses und mit blanken Waffen, 
übereinander herfallen. Feldzeichen, Flagge, Helm, Schild und 
Schwert zeichnen sich als Insignien männlicher Macht und 
Gewalt gegen den Himmel ab, während am Boden die toten Lei- 
ber gefallener Krieger liegen, deren Blut das Erdreich rötet. Im 
Vordergrund des Bildes schildert Ricci den heldenhaften Ver- 
such zweier Sabinerinnen, zwei mit gezückten Schwertern auf- 
einander zustürmende Männer von ihrem auf Vernichtung und 
Tod zielenden Streben abzuhalten. Ohne Waffen und ohne 
Schutz, allein mit ihren verwundbaren Körpern drängen sich die 
Frauen zwischen die Gegner. Doch bringen sie das Wertvollste 
mit sich, das ihnen das Leben geschenkt hat — ihre Kinder, die 
sie schützend im Arm halten und zugleich als stärksten Beweis 
für die Frevelhaftigkeit des Krieges den Männern vor Augen 
führen. Und nicht nur flehentliches Bitten steht den Frauen zu 
Gebote, sondern auch tatkräftiges Zupacken, um Schlimmstes 
zu verhindern. Im Unterschied zum Kampfgeschehen im Vor 
dergrund, das nur mühsam unterbunden werden kann, zeichnet 
sich im Hintergrund bereits die durch die Frauen bewirkte Wen- 
dung des Ereignisses ab. Während eine der Sabinerinnen ihren 
Ehemann in die Arme schließt, eine andere dem ihren das 
gemeinsame Kind in die Hände drückt, kniet eine dritte schließ- 
lich, in der Keith Christiansen Hersilia erkennt, vor zwei Feld- 
herren, wohl Tatius, ein Sabiner, und Romulus nieder, um für 
Frieden zu bitten, woraufhin ein Waffenstillstand beschlossen 
wird. Sebastiano Ricci hat die beiden Figurengruppen des Vor- 
dergrundes genügend weit auseinander gerückt, um der Szene 
den ihr gebührenden Ort im Zentrum des Bildes einzuräumen. 
«Der Kampf der Römer gegen die Sabiner» stellt das Pendant 
zum «Raub der Sabinerinnen» (Kat. Nr. 36) dar und wurde, 
obgleich thematisch engstens aufeinander Bezug nehmend, in 
der Malerei generell wenig berücksichtigt, und auch von Ricci, 
der den Raub mindestens dreimal gemalt haben soll, nur ein 
einziges Mal behandelt. Im Kontext der liechtensteinischen 
Gemälde unterstützt und verstärkt das zweite die Aussage des 
ersten: Auch hier huldigt der Maler dem weiblichen Geschlecht. 
das nicht nur Leben spendet, sondern um den Preis der Selbst- 
opferung Leben auch zu wahren sucht. Ricci macht erneut deut- 
lich, daß es Frauen sind, die menschlicher Zivilisation durch 
Liebe und Frieden ihr Fundament geben. 
Dem «Raub der Sabinerinnen» gleich, stellt sich auch der 
«Kampf der Römer gegen die Sabiner» in leuchtend frischem 
Kolorit dar. Beide Gemälde sind mit freier, aber souverän die 
malerischen Mittel beherrschender Hand geschaffen. Von ihrer 
raschen Ausführung zeugen zahlreiche Pentimenti (Reuezüge). 
:n Mittel- und Hintergrund scheint sich alles in Licht, Luft und 
Atmosphäre aufzulösen. Der offene, bisweilen nur skizzierende 
Duktus fördert die kraftvolle Dynamik beider Szenen und ver- 
hindert, daß Personen und Gruppen in künstlicher Pose erstar- 
ren. Wenngleich den Gemälden eine durchaus dekorative Wir- 
kung eignet, entbehren sie doch nirgends der Substanz, weder 
malerisch, noch inhaltlich. 
In Belluno geboren, kam Sebastiano Ricci zwölfjährig nach 
Venedig, wo er bei Sebastiano Mazzoni lernte. Reisen und Auf- 
räge führten ihn nach Bologna, Rom, Mailand, Florenz und zu 
anderen italienischen Residenzstädten. Hier hinterließen insbe- 
sondere die Werke der Carracci, Pietro da Cortonas, Alessandro 
Magnascos und Luca Giordanos starken Eindruck. Nach Vene- 
dig zurückgekehrt, überwand Ricci, auf der Grundlage des fest- 
lich heiteren Kolorits von Paolo Veronese sowie der lockeren 
Pinselführung Magnascos (siehe Kat. Nr. 39), die venezianische 
Helldunkelmalerei und wurde somit zum Begründer des vene- 
zianischen Rokoko. Zu seinen außeritalienischen Wirkungs- 
stätten gehörten neben Wien, wo 1702/03 die beiden liechten- 
steinischen Gemälde entstanden, auch London, wohin ihn sein 
Neffe Marco Ricci holte, schließlich Paris, wo er Mitglied der 
Academie Royale de Peinture wurde. Ricci schuf Altarwerke, 
Fresken und Gemälde für Kirchen, Paläste und private Sammler. 
U.W 
Ausstellungen und Literatur: Seite 155
	        

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