Kat. Nr. 35
MARCANTONIO FRANCESCHINI
(1648-1729)
«DIE BEGEGNUNG VON JAKOB UND RAHEL
AM BRUNNEN» (1693-94)
Leinwand; 118,7 X 168,7 cm
Inv. Nr. G 252
Erworben: 1694 nach Auftrag durch Fürst Johann Adam Andreas I. vom Künstler
Lediglich unter Angabe der Abmessungen beauftragt Fürst
Johann Adam Andreas I, am 11. November 1691 per Brief den
bolognesischen Maler Marcantonio Franceschini mit der Her
stellung eines Gemäldes für einen freien Platz neben der Tür sei
nes Kabinettes. Die Wahl des Themas überläßt er dem Künst-
ler'. Franceschini, in Anspruch genommen durch einen
umfangreichen Freskenzyklus in der Corpus Domini-Kirche in
Bologna, vertröstet den Fürsten und schlägt erst am 4. Februar
1693, nach dreimaliger Aufforderung, die alttestamentliche
Geschichte von Jakob und Rahel am Brunnen als ein «anmuti-
ges und lohnendes» Bildthema vor. Der Fürst akzeptiert und
treibt zur Eile an. Mit Brief vom 1. April 1693 bestätigt der
Maler, daß er das Bild, das zehn Figuren in einer Landschaft
zeige, begonnen habe. Am 17. November des gleichen Jahres
teilt er dem Fürsten schließlich die Fertigstellung des Gemäldes
mit. Gleichwohl ziehen sich Bezahlung? und Lieferung des Bil-
des noch bis 1694 hin. Aus einem Brief vom 17. Februar 1694
geht hervor, daß das Gemälde einen Tag zuvor von Bologna
nach Wien abgeschickt worden sei. Franceschini äußert die
Hoffnung, daß den Fürsten die Ausgabe von 300 Dukaten nicht
reue, da er zu den zehn Figuren noch drei weitere hinzugefügt
und darüber hinaus mit Tieren und Landschaft zusätzliche
Arbeit gehabt habe. Am 6. März gibt sich der Fürst in einem
Schreiben überzeugt, daß das Gemälde, das noch nicht einge-
troffen war, sicherlich schön sei. Ohne bewertenden Kommentar
bestätigt er am 20. März schließlich den Empfang des Bildes.
«Jakob und Rahel am Brunnen» gehört zu den frühesten Auf-
trägen, die Fürst Johann Adam an Marcantonio Franceschini
erteilte. Die erste Probe seines Könnens unterbreitete der Maler
bereits vor dem 12. Juni 1691 mit zwei als Pendants konzipier
ten allegorischen Darstellungen der Gerechtigkeit und Klugheit.
Sie überzeugten den Fürsten und veranlaßten ihn, weitere
Gemälde bei Franceschini zu bestellen. Noch bevor das Bild von
«Jakob und Rahel» in Wien eintraf, vergab Johann Adam am
4. September 1692 den größten Gemäldeauftrag für das Haus
Liechtenstein an Marcantonio Franceschini, den Adonis- und
Diana-Zyklus für den Gartenpalast in der Roßau in Wien, der
1699 abgeschlossen wurde“.
Das Gemälde von «Jakob und Rahel» zeigt sich in Planung und
Ausführung äußerst ambitioniert, Zahlreiche Vorzeichnungen
gehen dem Werk voraus, das eine enorme Fülle von Figuren und
Tieren aufweist. Daß es dennoch nicht überladen wirkt, liegt in
seiner kompositionellen Strenge und Klarheit begründet, die der
Tradition Poussins, vor allem aber Francesco Albanis und Carlo
Cignanis verpflichtet ist. Trotz aller formalen Disziplin sind die
Personen von einer natürlichen Anmut in Ausdruck und Ge-
bärde bestimmt, die wie ein später Nachklang Correggios er
scheint, jedoch ebenso den Einfluß Guido Renis erkennen 1äßt.
In kristalliner Kühle präsentiert sich das Kolorit, welches durch
Blau, Grün und Olivgrau dominiert wird. Jakobs Fellgewand
wird von einem tiefblauen Mantel überdeckt, während Rahel in
jungfräuliches Weiß gekleidet ist, das ihre seelische Zurück-
haltung unterstreicht. Franceschinis Wahl des ihm freigestellten
3ildthemas fiel auf die bei Mose (1, 28-30) erzählte Begegnung
lakobs mit Rahel, der Tochter seines Onkels Laban in Mesopo-
tamien. Dorthin zieht Jakob auf Geheiß seines Vaters Isaak, um
sich eine Frau aus der eigenen Familie zu suchen. Als Jakob
ıach Haran, das Land seines Onkels, kommt, trifft er Rahel mit
den Schafen ihres Vaters Laban an einem Brunnen, der von
sinem großen Stein bedeckt ist. Jakob wälzt den Stein zur Seite,
:ränkt die Schafe, gibt sich Rahel als Verwandter ihres Vaters zu
srkennen und küßt weinend seine künftige Gattin, um die er bei
Laban vierzehn Jahre dienen muß.
Ein friedlich pastorales Treiben umgibt das junge Paar, das ganz
in sich geschlossen scheint. Mit respektvoller Zärtlichkeit
vemüht sich Jakob um die Zuneigung der Frau, die ihm noch
fremd ist und die er doch schon liebgewonnen hat. Rahel erwi-
dert nicht und 1äßt gleichwohl durch die Neigung des Kopfes,
durch die zugelassene Nähe des Mannes ihr stummes Einver-
ständnis erkennen. Voller Anspielungen auf Eros und Frucht-
barkeit ist das Bild — sich liebkosende und paarende Tiere, flies-
sendes Wasser, zarte Blüten, die dem Boden entsprießen und
von einem Mädchen, das mit zwei kleinen Kindern spielt,
gepflückt werden. Auch Hirtenstab und Wasserkrug, scheinbar
achtlos auf den Boden geworfen, sind versteckte Zeichen der
Liebe, auf die Jakob und Rahel ihre Ehe gründen werden.
Eine kleinere, weniger figurenreiche und auf Kupfer gemalte
Variante des liechtensteinischen Bildes in ovalem Format, eben-
:alls von der Hand Franceschinis, befindet sich in Budapest
(Szepmüveszeti Muze&um).
Marcantonio Franceschini wurde 1648 in Bologna geboren.
Zunächst Schüler des Carlo Cignani, half er diesem später auch
als Mitarbeiter, etwa bei der Ausmalung des Palazzo del Giar-
dino in Parma. Als selbständiger und überaus erfolgreicher
Maler schuf er, neben den Werken im Auftrag des Fürsten von
Liechtenstein, Gemälde für Kirchen und Adelshäuser in Pia-
cenza, Modena, Turin, Rom und Genua. Einem dauerhaften Ruf
nach Wien durch Fürst Johann Adam von Liechtenstein wollte
Franceschini, der zeit seines Lebens in Bologna ansässig war,
nicht folgen. Sein klassisch-akademischer, bisweilen etwas
trockener Stil in der Nachfolge großer Bolognesen wie Albani.
Reni und Cignani entfaltete sich vor allem im Rahmen umfang-
reicher, dekorativer Gemäldezvklen. ILW
' Die umfangreiche Korrespondenz zwischen Fürst Johann Adam und Fran-
ceschini befindet sich im Liechtensteinischen Hausarchiv in Wien und Vaduz.
Sie wurde von Dr. Herbert Haupt, Wien, transskribiert und in der Monographie
von D. C. Miller entsprechend ausgewertet. Vgl. dort: S. 191, Nr. 5.
; D.C. Miller, S. 210, Nr. 35; S. 213, Nr. 39; S. 214, Nr. 40.
‘D.C. Miller, S. 189, Nr. 1.
D. C: Miller, S. 193, Nr. 11.
Literatur: Seite 155