Kat. Nr. 10
BENVENUTO TISI DA GAROFALO
(1481-1559)
«DER HEILIGE CHRISTOPHORUS» (um 1530-40)
Holz; 32,8 X 37 cm
Inv. Nr. G 172
Erworben: 1832 durch Fürst Johannes I.
Die Legende vom Heiligen Christophorus ist orientalischen
Ursprungs und war schon im achten Jahrhundert im Abendland
verbreitet. Als Märtyrer trug Christophorus, der riesenhaft
gewesen sein soll, bis zu seinem Tod das Bekenntnis zu Christus
im Herzen. Die wörtliche Bedeutung seines Namens, «Christus-
träger», suchten die Künstler im Mittelalter darzustellen, indem
sie Christus auf Christophorus’ herzseitige Schulter setzten. Um
seine Riesenhaftigkeit zu demonstrieren, wurde die Christus-
figur verkleinert, so daß sie bald als Kind gedeutet wurde. Auf
die Legenda Aurea Jacobus’ de Voragine geht am Ende des
13. Jahrhunderts jene Erzählung zurück, die Christophorus als
«Fährmann» beschreibt, der die Menschen über den großen
Fluß trägt. In einer Sturmnacht begehrt ein Kind hinüberge-
bracht zu werden. Während die Fluten steigen, wird es immer
schwerer. Auf des Riesen Stöhnen: «Kind, Du bist mir so
schwer, als trüge ich die ganze Welt» antwortet es: «Du trägst
den, der die Welt geschaffen hat». Mit Mühe erreichen sie das
andere Ufer, wo Christophorus schließlich in dem Kind den
Sohn Gottes erkennt.
Darstellungen des Themas sind seit dem Mittelalter vorwiegend
nördlich der Alpen, aber auch in Italien anzutreffen. Tizian hatte
1523 in einem Fresko (Venedig, Palazzo Ducale) den Riesen in
Untersicht gezeigt und die Erzählspannung der Legende renals-
sancegemäß allein in die Figur gelegt. Garofalos liechtensteini-
sche Tafel zeigt Christophorus im Zentrum einer kleinformati-
gen Komposition. In dem für das Thema höchst selten genutzten
Querformat vermag er die herkulinisch monumentale Einzelfi-
gur in Nahansicht, bei gleichzeitiger Entfaltung eines weiten
Landschaftsraumes zu zeigen. Der Zauber der Landschaft birgt
mit der Einsiedelei auf dem Berg und der Eremitengestalt, rechts
im Bild, nicht nur die zum Thema gehörenden erzählerischen
Motive. Die Landschaftsgestaltung läßt außerdem, wohl auch
in Nachahmung niederländischer Vorbilder, ein Weltenpano-
rama erstehen, das auf die metaphorische Bedeutung dieses
Fährmanns hindeutet, der als Märtyrer durch seinen Tod das
Erlösungsopfer Christi bekräftigte. Das Moment der Erlösung,
in Gestalt der Verbindung oder Vermittlung zweier Welten, fin-
det sich auf der Tafel im Motiv der Flußdurchquerung. Der dia:
gonal von rechts nach links durch das Bild und auf den Betrach-
ter zu fließende Fluß trennt den Vordergrund der Komposition
vom Hintergrund. Erst der Heilige schafft, indem er die Furt
durchschreitet, eine Verbindung. Doch ist seine Gestalt nicht nuı
ein Stützpunkt des Auges beim Wechsel von Nah- zu Fernsicht.
Als Angelpunkt der Komposition vermittelt Christophorus auch
zwischen rechter und linker Bildhälfte. Diese Teilung wird
durch die Stange des Fährmanns unterstrichen: Als Wunderzei-
chen, Predigerstab und als palmwedelgeschmücktes Siegeszei-
chen des Märtyrers ist sie das Symbol im Zentrum des Gesche
hens. Sie markiert die bildliche Grenze zwischen der schatti
gen Felsgegend links und der Landschaftssphäre, die im rosa:
orangen Morgenlicht des Sonnenaufgangs liegt. Auch zwi
schen diesen Bildwelten vermittelt Christophorus, indem er
das Kind, die Heilsbotschaft, aus der Einöde ins Licht, in die
bewohnte Welt trägt.
Auch die liechtensteinische Christophorustafel demonstriert
Garofalos außerordentliche künstlerische Begabung als Land-
schaftsmaler. Schon im ferraresischen Frühwerk gelingen ihm
Stimmungslandschaften, die von einem intensiven Naturgefühl
erfüllt sind. Dunkle, erdfarbene Töne in Schattenzonen treffen,
wie hier, mit hellem Eisblau zusammen. Im orange- und rosa-
farbenen Licht der Sonnenaufgänge irisieren Landschaften und
Architekturen. Die Beleuchtung läßt das Blattwerk der Büsche
und Bäume insbesondere an den hellen Rändern phosphoreszie-
rend wirken und prägt damit ein Erkennungsmerkmal der Fer-
raresischen Malerei zu Beginn des Jahrhunderts. Doch neben
dieser ursprünglich durch Venedig vermittelten, stimmungshaf-
ten Naturauffassung lassen sich in der Landschaftsraumgestal-
tung der liechtensteinischen Tafel auch nordalpine, wohl nie-
derländische Einflüße erkennen. Das rote Gewandmotiv, dessen
Bewegungsenergie einziges Zeugnis der gefahrvollen Passage
ist und durch die symbolische Farbe auch an das Martyrium
erinnert, hat Vorläufer in der altdeutschen Kunst, insbesondere
bei Albrecht Dürer, dessen Christophorusdarstellungen in Holz-
schnitten auch in Italien verbreitet waren. Die harmonisch
zwischen Figur und Raum vermittelnde Komposition und die
souverän gestaltete Landschaft lassen die von Neppi vorge
schlagene und durch Sambo bestätigte Datierung der Tafel in
den Zeitraum der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts plausibel
erscheinen, zumal Christophorus die römischen Erfahrungen
Garofalos in der Figurendarstellung erkennen läßt, ohne jedoch
die manieristischen Schwächen des Spätwerks zu zeigen.
Benvenuto Tisi, genannt Il Garofalo, wurde 1481 in Garofalo/
Rovigo geboren und verstarb 1559 in Ferrara, wo auch der
Mittelpunkt seines Schaffens lag. Ursprünglich ein Schüler des
Cremonesen Boccaccino, wurde Garofalo früh durch eine Reise
nach Venedig beeinflußt, wo er (vor 1510?) mit der Kunst
Giorgiones in Berührung kam. Der Romaufenthalt 1515-1516
prägte durch den Einfluß Raffaels seinen Figurenstil entschei-
dend, wobei das Spätwerk in der Folge deutlich manieristische
Züge annimmt. M.H.
Ausstellungen und Literatur: Seite 148