Gottesgnadentum — Der Streit um
kirchliche und weltliche Macht
Die Völkerwanderung (375-568) ver-
setzte der Antike den Todesstoss und
war zugleich Auftakt für das beginnende
Mittelalter.
‚m ehemaligen Römerreich entstanden
neue germanische Staaten: das Wan-
dalenreich in Nordafrika, das Westgoten-
reich in Spanien, das Reich der
Burgunder der Rhone entlang, das Ost-
gotenreich in Italien und schliesslich das
Frankenreich, das um 500 n. Chr. vom
Main bis an die Westküste Frankreichs
reichte und sehr bald zentraler Staat des
Abendlandes werden sollte.
Die neu entstandenen Staaten waren
Königreiche, wiesen aber Unter-
schiede zum spätantiken Kaiserreich auf
Neben der Königsgewalt bestand noch
die Macht des Adels. Ihren Herr-
schaftsanspruch leiteten die Adeligen
davon ab, dass sie in den Zeiten der
Wanderung mit ihrer Gefolgschaft (ihnen
ergebene Soldaten) für den Schutz und
die Sicherheit der Stämme gesorgt
hatten.
Zu den Machtkämpfen zwischen König
und Adel kam noch ein weiterer Konflikt,
der die Politik des gesamten Mittelalters
prägen sollte: das Verhältnis zwischen
Kaiser und Papst.
Die Auffassung des Gottesgnadentums
besagte, dass König oder Kaiser ihre
Macht unmittelbar von Gott erhalten
hätten und dadurch über der geistlichen
Macht stünden, die vom Papst verkör-
pert wurde.
Im Gegensatz dazu berief sich das
Papsttum in seiner Zwei-Schwerter-
Theorie auf die Bibel und erklärte: «Zwei
Schwerter liess Gott auf Erden, um die
Christenheit zu beschirmen. Dem Papst
ist gesetzt das geistliche, dem Kaiser
das weltliche» (nach dem Sachsenspie-
gel). — Papst Bonifaz VIII. ging in seiner
Bulle «Unam sanctam» vom 18. Novem-
ber 1302 noch einen Schritt weiter:
«... Es muss aber ein Schwert unter dem
anderen stehen und die weltliche Auto-
rität der geistlichen Gewalt unterworfen
x
Weltliche und geist-
liche Macht vereint auf
dem Thron: So harmo-
nisch, wie dies im
Sachsenspiegel — dem
Jedeutendsten Rechts-
auch des deutschen
Mittelalters — um 1325
dargestellt wurde, war
die Verbindung durch-
aus nicht. Kaiser und
Papst standen im stän-
digen Wettkampf um
die Vorherrschaft.