I. UMFANG DER ARBEIT
1. Zur Theorie des Sprachwandels
In der modernen Dialektologie wird davon ausgegangen, dass Sprache keine homogene
Struktur hat, sondern heterogen ist. Die Heterogenität, d.h. das Vorhandensein von
Regelhaftigkeiten und Abweichungen, gehört zum Wesen natürlicher Sprachen, denn nur
"die Sprache, die sich wandelt, ist die wirkliche Sprache in ihrer konkreten Existenz."
Die Sprache, die sich nicht wandelt, ist die abstrakte Sprache, so wie sie in Grammati-
ken und Wörterbüchern zu finden ist. In einer gesprochenen Sprache tritt also Variation
auf, d.h. es gibt immer wieder ein Nebeneinander von zwei oder mehr Formen, um
dasselbe auszudrücken.
"Von Sprachwandel kann erst gesprochen werden, wenn dieselbe Veränderung im
Sprachbesitz mehrerer Individuen eingetreten ist und von nun an ihre Sprachproduktion
bestimmt."'* Produziert ein Einzelsprecher ein neues sprachliches Faktum, muss dies
also noch nicht zum Sprachwandel führen, es handelt sich hier lediglich um eine
(tausendfach vorkommende) Innovation. Innovationen können allerdings zu Neuerungen
werden, wenn sie von anderen Sprechern gehört und in ihren Sprachbesitz übernommen
werden. Erst die Neuerung ist eine Einheit im Sprachwandelprozess, während die
innovation nur eine individuelle, punktuelle Produktion einer neuen sprachlichen Form
darstellt. '®
Die Untersuchung versucht sprachliche Wandelvorgänge festzustellen, sie muss also
unterscheiden, zwischen auftretenden Innovationen und wirklichen Neuerungen.
13 Coseriu 1974, 5. 11.
%* Haas 1978. S 7:
5 vgl. Haas 1978, S. 10.