Volltext: Die liechtensteinische Staatsordnung

Staatsgerichtshof und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 
Staatsgerichtshof interpretiert denn auch die Grundrechte der Verfas- 
sung ım Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für 
Menschenrechte (EGMR), indem er die entsprechenden Normen der 
EMRK und ihrer Protokolle im Sinne der Rechtsprechung des EGMR 
auslegt und in die eigene Normkonkretisierung einfliessen lässt,*® 
sodass es trotz sachlicher Überschneidung der Jurisdiktionsbereiche 
kaum zu einer Konkurrenzsituation kommt.” Ganz auszuschliessen 
sind jedoch divergierende Entscheidungen in derselben Beschwerde- 
sache nicht.5! 
II. Entscheidungswirkungen 
Die Entscheidungen des Staatsgerichtshofes erzeugen eine umfassende 
rechtliche Wirkung. Sie erwachsen in formelle und materielle Rechts- 
  
499 Dies war schon vor der Ratifikation der EMRK der Fall (StGH 1977/4 und StGH 
1978/12), sodass, wie Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 29 ausführt, der 
Staatsgerichtshof angenommen hat, dass die Grundrechte der Verfassung in Zwei- 
felsfällen so gedeutet werden könnten, «dass ihr Gehalt dem durch die EMRK ge- 
forderten Mindeststandard entspricht». Vgl. auch Hilmar Hoch, Kriterien der Ein- 
schränkung von Grundrechten, S. 643 und ders., Grundrechtliche Verfahrensgaran- 
tien, S. 116. Eine andere Position nimmt der österreichische Verfassungsgerichtshof 
ein, der sich an die Judikatur des EGMR nicht strikt gebunden fühlt und die grund- 
sätzliche Eigenständigkeit seiner eigenen Interpretationen auch schon ausdrücklich 
betont hat. So Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Die Beziehungen zwischen dem Ver- 
fassungsgerichtshof und den anderen Gerichten, S. 28. 
500 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, S. 265 Rz. 365, sprechen 
in diesem Zusammenhang für Deutschland von einer «tatsächlichen Konkurrenz» 
der beiden Gerichte. Vgl. auch Stefan Mückl, Kooperation oder Konfrontation, 
5. 403 ff. 
501 Vgl. etwa StGH 2006/111, Urteil vom 3. Juli 2007 (im Internet abrufbar unter: 
<www.stgh.li>). Gemäss Art. 35 Abs. 1 EMRK sind die innerstaatlichen Rechtsmit- 
tel auszuschöpfen. Macht eine Individualbeschwerde eine Verletzung durch die 
öffentliche Gewalt geltend, so entscheidet der Staatsgerichtshof als letzte Instanz. Es 
ist also ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof durchzuführen, bevor der EGMR 
angerufen werden kann. Demzufolge wird sein Urteil zum Gegenstand der EGMR- 
Rechtsprechung. Siehe auch Andreas Kley, Staatsgerichtshof und übrige einzelstaat- 
liche Rechtsprechungsorgane, S. 56. Nach Mark E. Villiger, Quellen der Grund- 
rechte, S. 36 f. Rz. 7 hat der EGMR von den insgesamt 85 Beschwerden, die seit 1982 
gegen Liechtenstein in Strassburg eingereicht worden sind, in vier Fällen Urteile 
gefällt, die auf S. 37 in Fn. 6 aufgelistet werden. Vgl. dazu auch Hugo Vogt, Inner- 
staatliche Durchsetzung, S. 69 f., der noch einen weiteren Fall nennt. 
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