Volltext: Die liechtensteinische Staatsordnung

Verfassungsrechtliche Stellung 
Der Staatsgerichtshof übt dem Gesetzgeber gegenüber eine «verfas- 
sungsgerichtliche Zurückhaltung» aus, da dem Gesetzgeber ein eigen- 
ständiger Verantwortungsbereich zur Verfassungsentfaltung zusteht, 
sodass der Staatsgerichtshof, wie er selber zu verstehen gibt, nur dann 
korrigierend eingreift, «wenn der Gesetzgeber den Rahmen seiner 
Gestaltungsfreiheit verlässt und Grundrechte verletzt». Würde er anders 
verfahren, «bedeutete dies eine Verschiebung seiner Kontrollfunktion in 
Richtung von Gestaltungen, die dem Gesetzgeber vorbehalten sind. 
Falls der Gesetzgeber indessen seine Gestaltungsfreiheit überschreitet 
und Grundrechte verletzt, entspricht es der Funktion des Staatsgerichts- 
hofes insbesondere zum Schutze der verfassungsmässig gewährleisteten 
Rechte einzugreifen (Art. 104 LV)». Dem entspricht auch, wenn er sich 
im Normenkontrollverfahren lediglich als «negativer Gesetzgeber» 
begreift und verfassungswidrige Gesetze aufhebt.** Für ein solches Rol- 
lenverständnis sprechen demnach «Gründe organadäquater Funktio- 
52 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, 
S. 49 ff.; Wolfram Höfling, Grundrechtsordnung, S. 36 f. Kritisch bzw. ablehnend 
äussert sich zu einem solchen Rollenverständnis Werner Heun, Verfassungsord- 
nung, S. 216. Er hält das Konzept richterlicher Zurückhaltung bzw. «Selbstzurück- 
haltung» unter dem Grundgesetz nicht als anwendbar. Richterliche «Selbstzurück- 
haltung» werde als «Selbstermächtigung» betrachtet, die verfassungsrechtlich ver- 
boten sei. Kompetenzausübung sei Verfassungsorganen nicht freigestellt. Das 
(Verfassungs-)Gericht dürfe sich daher nicht auf eine «political question doctrine>» 
stützen. Entweder verbiete die Verfassung eine bestimmte Massnahme und dann 
müsse das Gericht sie für verfassungswidrig erklären. Oder die Verfassung verbiete 
sie nicht, dann sei auch das Gericht nicht ermächtigt, sie für nichtig zu erklären. 
53 StGH 2006/5, Urteil vom 3. Juli 2006, S. 14 mit weiteren Rechtsprechungshinwei- 
sen (im Internet abrufbar unter: <www.stgh.li>) und StGH 2006/90, Beschluss vom 
4. Dezember 2006, nicht veröffentlicht, S. 10; StGH 2011/17, Urteil vom 1. Juli 
2011, Erw. 2.2 (im Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>). Das Rol- 
lenverständnis des Staatsgerichtshofs kommt auch hinten S. 668 ff. und 678 ff. zur 
Sprache. Zum «judicial self-restraint» aus deutscher Sicht siehe BVerfGE 36, 
1 (13 f.); dieser bedeute «den Verzicht, Politik zu betreiben, d. h. in den von der Ver- 
fassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugrei- 
fen». Zur österreichischen Verfassungslage siehe Peter Oberndorfer / Britta Wagner, 
Gesetzgeberisches Unterlassen, S. 436. Danach wird der Verfassungsgerichtshof in 
der Literatur ganz allgemein als - lediglich — negativer Gesetzgeber bezeichnet, dem 
jedwede positive Normierungsbefugnis abgeht. 
54 Siehe zum Staatsgerichtshof als negativen Gesetzgeber und in der Funktion als 
«Ersatzgesetzgeber» Herbert Wille, Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens, 
S. 452 ff. 
607
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.